Ach die jetzt auch?

Ich lese grad - bei heise - ein Zitat von Ansgar Heveling

Ideologen der Freiheit arbeiten kräftig daran, unsere Kultur und Wertschöpfungsketten zu zerstören

Oha! Die jetzt also auch noch? Dann wird es sicher bald ernst!

Bisher hat daran vor allem die Musikindustrie kräftig gearbeitet. Wenn wir uns den Weg ansehen, den Plattenfirmen genommen haben, dann war das am Anfang mal so charakterisiert

  • die Plattenfirma sucht ein neues Talent
  • sie investiert (viel) Geld und bezahlt erstmal Unterhalt des Künstlers, das Tonstudio mit seinen sündteuren Maschinen und Menschen (Produzent, Tontechniker etc.) und finanziert die teure Produktion der physischen PVC-Platten mit den komischen Rillen drauf
  • die Firma finanziert die Promotion und Werbung

Und nur wenn die Platte nicht floppt, verdient sie Geld. Wie bei einer Venture Capital müssen die Erfolge dabei die Flops mit bezahlen.

Die Plattenfirma übernimmt in diesem Modell ein hohes Risiko: für einen Flop bleibt die Firma auf den Kosten komplett sitzen. Der Künstler bekommt sein Geld, die Werbeagentur genauso, nur die Plattenfirma muss sich mit den Retouren aus den Plattenläden rumschlagen. Für so ein Invest-Risiko ist es absolut legitim, dass die Firma eine Marge verlangt. Also Profit macht.

Betrachten wir kurz den weiteren Verlauf. Wenn früher eine Band ein Demo-Tape auf CompactCassette (die uralten unter den Lesern werden sich daran erinnern) einreichte um das Talent zu demonstrieren und dann von der Plattenfirma ins Studio eingeladen wurde, um das Material noch einmal auf Profiequipment aufzunehmen, dann wurde spätestens seit DAT-Rekordern und für ambitionierte Hobbyisten bezahlbare Audio-Elektronik von der Firma schon sendefähiges Material verlangt: schon für das Demo-Tape musste die Band auf eigenen Kosten (!) ins Studio, wenn man überhaupt einen Vertrag haben wollte.

Im späteren Verlauf haben die Plattenlabels das Erfolgsmodell immer weiter verfeinert: Kosten und Risiken wurden systematisch ausgelagert. An den Handel (Werbung, Flop-Risiko) an Zulieferer (wobei: CD-Produktion ist sehr viel billiger und mehr on-demand machbar als Vinylplattenprodukltion, hier hat man wohl eher Risikominimierung mitgenommen als anderen aufgedrückt) und eben immer mehr an die Künstler: Geld gibt es nur, wenn die Platte sich mindestens n mal verkauft hat etc.

Und dann sorgt eine technische Neuerung noch dafür, dass das letzte Bischen Leistung, das die Plattenindustrie erbracht hat, nicht mehr erforderlich ist: das physische Herstellen und Vertreiben von Exemplaren. Da das Urheberrecht aber genau diesen Part monopolisiert muss er - aus Sicht der Plattenindustrie natürlicherweise - erhalten werden und alles andere am besten kriminalisiert.

Das erinnert fatal an die Regelung in Grossbritannien, wo ein Heizer auch auf Diesel- und Elektroloks mitfahren musste. Das hatten die Gewerkschaften mal durchgesetzt.

Die Holzkohleproduzenten des vorigen Jahrhunderts wollen sich ihr Geschäftsmodell erhalten, obwohl heute mit Erdöl eine viel bequemere Energiequelle bereitsteht. Aber es wird ihnen gehen müssen wie dem Köhler: ausser einem Familiennamen wird von diesem Beruf nicht viel übrig bleiben können.

Der heise-Artikel zeigt noch etwas sehr schön. Immer wieder kommt die aktuelle Politik auf den Sündenbockhaftungstrichter. Auch Herr Heveling phantasiert wieder davon, dass „die Provider“ haften müssen.

So eine Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen ist interessant. Vor allem, wenn man sie auf andere Bereiche als das GBI überträgt. Stellen wir uns vor

  • Individualverkehrsprovider müssen für die Nutzung ihrer bereitgestellten Infrastrukturen (vulgo „Strassen“) als Fluchtwege bei Bankraub haften.
    Die Gemeinden, Länder und der Bund würden schenll arm
  • Logistiker müssen für alles haften, was sie transportieren.
    Was würde ein Postpaket kosten, wenn jedes individuell durchsucht werden muss?

„Aber es kann doch nicht sein, dass...“ Ein oft gehörter Satz der Empörung. Empörungs- und Symbolpolitik. Ist es das, was wir wollen? Ist es das, was Deutschland und Europa und die Welt nach vorne bringt?


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Politik