Katze

Alles Berechenbar

Die SPD - oder Teile davon, sind ja doch mehr als 3 Leute - agiert. Nicht ganz geschickt, wie ein Foren-Teilnehmer bei heise korrekt anmerkt. Ja, solche Dinger sollte man eher nach einer Wahl raushaun, nicht 2 Wochen davor.

Oder eben gerade da. Die Reaktionen in den heise-Foren sind genau die zu erwartenden. Auch Fefe reagiert voll berechenbar.

Thomas Stadlers Kritik kam für mich etwas überraschend, aber auch nach dem dritten Lesen ist das nicht komplett von der Hand zu weisen.

Dennoch: Streit, Aufregung, „Verräter“, „unwählbar“ und so weiter. Und binnen Stunden ein Rattenschwanz an Kommentaren bei heise - und im Wesentlichen alle im Sinne Pro-Piratenpartei.

Das freut die Piraten natürlich - und zu Recht. All Things Net sind ja nun mal das originäre Revier dieser Partei und die Sachkompetenz in Fragen Kommunikationstechnik und deren Drumherum ist bei den Piraten zwei Grössenordnungen höher als in der Politik üblich.

Was zum Teil daran liegt, dass die Piraten keine Profi-Politiker sind. Der Anteil an Leuten mit Erfahrung in einem Parlament (oder parlamentsähnlicher Bezirksverordnetenversammlung) ist infinitesimal, der Anteil an Menschen mit Parteierfahrung (bei anderen Parteien) ist gering und mir kommt die Partei aktuell wie ein Sammelbecken für „diese ganze $%§%&/§-Politik ist doch !§$!%“-Menschen vor, die daraus mindestens einen der Schlüsse ziehen * das können wir besser * da muss sich fundamental etwas ändern * Hauptsache anders Und schon deshalb sind die Piraten nicht „links“ noch „rechts“, nicht nur, weil diese Begriffe durch ein knappes Jahrhundert der Verwendung bis zur Unkenntlichkeit verdreht sind. Ein Wortschicksal, das sie mit Worten und Begriffen wie „Ehre“, „Treue“und anderen Worten teilen, die man im politischen Kontext nicht in den Mund nehmen darf, um nicht sofort in eine Ecke voller Widerlinge einsortiert zu werden.

Die Piraten profitieren dabei von der Suche der jungen Leute und der Suche der Generation midlife-crises. Beide Generationen haben in grossen Teilen ein Problem mit der Sorte Politik, die ohne Ehre, ohne Anstand und vor allem ohne jede Sorge für das Gemeinwohl agiert. Nicht mehr verschämt sondern gänzlich unverschämt betreiben FDP und Konsorten inzwischen Klientel-Service aus öffentlichen Kassen (ob die CDU in Steglitz-Zehlendorf die Privatisierung der Polizeikantine durchpaukt oder die FDP Millionen-Steuergeschenke an Hoteliers beschafft: alles eine Soße). Wer darüber völlig zu recht wütend ist - und der Autor ist es ja auch - landet fast automatisch bei den Piraten oder im Lager der notorischen Nichtwähler, einer Gruppe, die die heimlichen Monarchisten umfasst. Glauben Sie nicht? Monarchisten kann es in Deutschland doch nicht geben? Also, ich habe einen in der Familie und kenne die Verzweiflung mit dem, was CDUCSU heute Demokratie nennt, die Menschen auf solche Abwege bringt. Und all das Gezeter, als ein ach-so-beliebter Minister über einen Meineid+Betrug+fortgesetztes widerliches Lügen gehen musste - doch, Deutschland könnte blitzschnell ein Herr Königstreuer mobilisieren.

Was der heise-Forenposter und der Durchschnittspirat nicht wahrhaben will - weil es ja nicht sein kann, nicht sein darf und wenn man es nur ignoriert dann verschwindet es bestimmt auch - ist:

Der Pitch der SPD grad 2 Wochen vor einer wichtigen Wahl war perfekt gemacht.

Man muss die Leute dafür bewundern - und ich denke, Alvar Freude ist nicht nur Vorzeige-Aktivist in der Runde sondern einfach überzeugt davon, das Richtige zu tun.

Die Ursache für den Unterschied in der Bewertung zwischen SPD und z.B. Thomas ist schnell gefunden: Thomas sagt korrekt, dass bei schweren Straftaten die Ermittlung über IP-Adressen keine Rolle spielt. Die Relation (IP,Person,Zeit) hat ermittlerisch nur eine Bedeutung bei Stalking, Verbreitung/Besitz von Content, dessen Besitz/Verbreitung strafbar ist, Beleidigungen, Verleumdungen oder eventuell Betrug (Liste nicht vollständig). Jedenfalls nicht bei Gefahren für Leib und Leben, da sind idR. in der physischen Welt genügend Ermittlungsansätze und Spuren verfolgbar.

Der Pitch der SPD will aber eben auch die kleineren Straftaten berücksichtigen, will sie verfolgen - und da sind Ermittlungsansätze ohne Vorratsdaten in der Tat schnell zum Scheitern verurteilt. Wie oft habe ich das in meiner Zeit im NOC eines weltweiten ISP eigentlich Staatsanwälten, Ermittlungsrichtern oder Polizisten klar machen müssen? Ich habe nicht mitgezählt, aber ich hatte am Ende Textbausteine, um zu erläutern, warum wir bei der Ermittlung nicht helfen können, obwohl wir es sehr wohl wollen, und welches weitere Vorgehen ich empfehlen würde, weil es in anderen Fällen schon sehr weitergeholfen hat. (Ja, DOCH! Ich bin absolut dafür, dass man Nennen-wir-sie-in-Ermangelung-eines-anderen-Wortes-Menschen, die Kinder misbrauchen, dingfest macht, einsperrt und daran hindert, weitere Kinder zu quälen! Und ich befürworte übrigens auch die Verfolgung von Heroin- oder Kokain-Händlern. Ich bin nur nicht bereit, dafür mal-eben-so alle und jeden unter Generalverdacht zu stellen).

Die Piraten liegen in Berlin derzeit bei 4,5% in den Umfragen, also bei 3% realistisch, würde ich schätzen. Gegenüber meiner Schätzung vom Mai eine dramatische Steigerung. Daraus folgt, dass 95,5% nicht die Piraten wählen würden.

Und genau in der Gruppe punktet der Pitch der SPD. Bei all den „wird Zeit dass da endlich mal jemand aufräumt mit diesem Internet“-Leuten eher nicht sondern bei der intelligenteren Teilmenge, die eine differenzierte Betrachtung will und die klar der Meinung ist, dass bei diesem ganzen Internet-Gedöns zu wenig Regeln herrschen.

Diese Teilmenge ist erheblich grösser als die 4,5%, die sich jetzt den Piraten zuneigen. Wer davon ein Drittel einsammelt, der gewinnt Stimmen.

Ihr mögt es ungern hören, Ihr heise-Poster, Ihr Piraten und Ihr, die Ihr Euch von der SPD so verlassen, verraten und verkauft vorkommt wie ich. Aber dieser Pitch zum Thema Vorratsdatenspeicherung war perfekt gemacht. Gut vorbereitet, sauber argumentativ abgesichert, inhaltlich gut geschliffen und das Timing eine Woche vor der FsA und 2 Wochen vor der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus...

Respekt, Hut ab, gut gemacht die Herren Mönikes und Tillmann.

Das macht den Kampf schwerer - und umso lohnender.

[UPDATE] Thomas Stadler stellt in einem Kommentar bei heise die richtige Frage: „welche Straftaten wollen wir denn überhaupt aufklären mit Hilfe der Vorratsdaten?“. Genau da liegt der Hase im Pfeffer (no pun intended), denn - nützlich sind die Vorratsdaten bei Betrug, Urheberrecht und anderem Kleinkram - begründet werden die Vorratsdaten mit Straftaten, für deren Aufklärung sie genau nix nützen. Daher ist eben nicht ein Schelm, wer bei der Vorratsdatenspeicherung vermutet, dass etwas ganz anderes gewollt ist als offiziell als Begründung gegeben wird. Der SPD-Musterantrag gibt m.E. zu, dass die Autoren eben nicht nur schwere Straftaten verfolgt sehen wollen sondern auch die Sorte, die dem Blechschaden entspricht: ärgerlich, aber es ist halt nur Geld. Ich habe schon öfter gesagt: wenn die Vorratsdaten auch nur ein Kind pro Jahr vor Vergewaltigung oder zwei Leute vor dem Tod bewahren - ich wäre versucht, zuzustimmen.


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Politik