Analog oder digital?

Analog kommt aus dem griechischen: ανα und λογος zusammengesetzt.
Digital dagegen kommt aus dem lateinischen von digitus (Finger).

Schon die alten Griechen hatten eine Theorie, dass es eigentlich nichts analoges gibt, dass irgendwo zwischen zwei Werten kein Wert mehr passt. Also, in der Natur, denn in der Mathematik passt ja immer noch eine Zahl zwischen zwei Zahlen.
In der Natur aber, so dachten schon vor 2000 Jahren einige kluge Köpfe, kann man einiges nicht mehr weiter teilen, gibt es etwas unteilbares (ατομος, atomos ind leiteinischer Umschreibung heisst unteilbar).

Aber davon abgesehen steht analog für einen Wert, bei dem viele Zwischenwerte, mehr als man zählen kann.
Die Geige ist so gesehen ein analoges Instrument: man kann auf der Saite nicht nur die „geraden“ Töne spielen sondern alle Töne dazwischen auch.
Das Cembalo dagegen ist digital: der Tonvorrat ist abzählbar, man muss nur die Tasten zählen. Und man kann auch nur eine Lautstärke spielen.

Das Klavier liegt da anders.
Es hat einen abzählbaren Tonvorrat. Ein paar weiss, ein paar schwarze Tasten, das ist es. Mehr geht nicht.
Ja, man kann mit dem Stimmschlüssel festlegen, welchen Ton welche Taste spielt, kan den Tonvorrat verändern, aber zu jedem Konzert ist er begrenzt auf die Anzahl der Tasten.
Aber hinsichtlich der Lautstärke der Töne und der Dauer, die sie erklingen, ist das Klavier ein analoges Instrument. Dass man darauf piano und forte spielen kann, war namensgebend für dieses revolutionäre neue Instrument.

Das Pianoforte war eine Revolution für die Musik.
Anders als die volldigitalen Tasteninstrumente Cembalo und Orgel - bei den Orgeln hat man ja die digitalen Nachteile mit Masse an Registern erschlagen - konnte man hier Ton für Ton verschieden spielen.
Das klingt schon ganz anders.
Eine Revolution, wie gesagt.

Mit der Vision von flexibler Demokratie ist eine vergleichbare Revolution abzusehen.
Wir haben aktuell eine volldigitale Demokratie: sowohl zeitlich als auch inhaltlich können wir Wähler nur das Paket en bloc wählen oder nicht wählen, das eine Partei anbietet.
Und das auch noch nur alle vier Jahre, also auch in zeitlichen Blöcken.

Das kann und soll eine flexible Demokratie verändern. Die thematische und die zeitliche Quantelung sind dabei gleichzeitig im Fokus.

Das kann die Demokratie entfesseln.
Das kann eine Revolution der Partizipation sein, und die würde Deutschland und Europa gut tun. Sehr sogar.

Aber damit fällt uns Vorreitern dieser neuen Demokratie auch die Verantwortung zu, dafür zu sorgen, dass dabei keine Kakophonie herauskommt.
Gerade bei der Auflösung der zeitlichen Quantelung von Stimmgewichten habe ich da ein wenig Sorge.
Das Liquid Feedback System, wie wir es in Berlin betreiben, erlaubt es, jederzeit alles zu ändern.
Und auch Abstimmungsergebnisse können faktisch jederzeit durch eine neue Initiative revidiert werden.

Ein Bauchgrummeln bleibt mir daher erhalten.
Es muss in der Politik an vielen Stellen auch Kontinuität und Verlässlichkeit geben.
Ich habe genau genommen Angst davor, selber solche Entscheidungen treffen zu müssen, bei denen meine Vernunft vorschreibt, der Kontinuität Vorrang vor meiner Überzeugung oder gar meinem Gewissen geben zu müssen.
Von Staatsräson gar nicht zu reden - in Helmut Schmidts haut hätte ich nicht stecken wollen, als damals die Landshut in Mogadischu auf dem Flugplatz stand.

Also ran ans Notenpapier und ein Concerto Grande für Liquid Feedback und Orchester komponiert.
Danach müssen wir dann nur noch ds tun, was auch mein Opa getan hat, um an die Oper zu kommen: üben, üben, üben.


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Politik

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