Nettichkeit muss jetarnt sein

lautet die erste Regel für Verkaufspersonal in Berlin.
Lernt man auf jedem der geheimen Berliner Boot-Camps für Verkäuferinnen und Verkäufer.

Jedenfalls ist anders nicht zu erklären, wieso diese Grundhaltung so verbreitet ist.

Wer aber eine echte, wahre Meisterin dieses Fachs, vermutlich Trägerin des höchsten Dan-Grades in Kundenabwehr, der überhaupt vergebene wird, Lehrerin und Inspiration für Adepten der Verkaufsverhinderung in ganz Berlin einmal live und direkt erleben will, der muss in den Prenzlauer Berg.

Um die Schuldigen zu schützen, lasse ich die Erwähnung des Ladens hier weg und den mir unbekannten Namen der Grossmeisterin auch.

Sätze wie „Nettichkeet will jetarnt sein, wa?“ - unvergesslich aus Eichhorns Schnellkurs im Baalinan, eines seiner Solos im Programm „Bezirkslieder“ mit Horst Evers, das hier warm empfohlen sei - kommen in den Sinn.
Und treffen doch voll neben das Schwarze, können nicht wiedergeben, mit welcher Leichtigkeit und Eleganz diese Meisterin ihre Kunst - ja weniger herstellt denn einfach bewirkt.

„Ventil fehlt“. Schon die Art und Ausführung der Begrüssung beim Betreten des Ladens mit einer kiloschweren Stahlflasche auf dem Buckel, lässt erahnen, was für ein Titan des Berliner Charmes uns hier gegenübersteht.
Keine Andeutung von „könnte er das Ventil noch im Auto haben“ oder „könnte das Ventil schon zurückgebracht worden sein“ dringt hindurch.

Wäre dies ein Roman von Pratchett, sie wäre mit Sicherheit eine Manifestation der Göttin der Verkaufsverhinderung - wenn nicht gar die Göttin selbst.
Keine 30 Sekunden dauert es, bis sich dieses wundervolle Gefühl einstellt, Kunde in Berlin zu sein: diese Mischung aus „Du bist Dreck von der fiesen Sorte, die sich nicht vernünftig abwaschen lässt“ und „dafür musst Du bezahlen mit einem wirklich grossen Einkauf“ und der Gewissheit, dass gerade ein grosser Einkauf den gerechten Zorn der Göttin nur noch steigern würde, denn nur eines verachtet und hasst sie mehr als Dich: Dein Geld zu zählen und dafür Steuern zahlen zu müssen an die höhere Macht, die selbst sie nicht besiegen kann.
Und auch für diese IHR Gefühl der Hilflosigkeit vor dem Finanzamt musst Du jetzt bezahlen.

Herrlich.
Da weiss man wieder, wonach man sich nach 2 Jahren in der Schweiz und einem Jahr in Arabien gesehnt hat, warum man solches Heimweh hatte und - obwohl mit 8 Jahren auf der Uhr des Lebens Zugezogener - warum es eben immer nur Berlin sein muss, sein kann, sein darf.

So beseelt war ich von diesem Glücksgefühl, dass ich IHRE Weigerung, mir eine Quittung auszustellen für die zurückgelieferte Stahlflasche, gleich zum Anlass genommen habe, die Flasche wieder mitzunehmen.
So kann ich eventuell dieses Wunder noch einmal erleben und mich der Lösung des ewigen Rätsels des Berliner Seins wieder näher und doch immer noch so fern fühlen: „Wie zum Geier kann so ein Laden noch existieren?“.
Weil er eben kein Laden ist sondern ein Domina-Studio.

[Update 18-Nov-2010]
War heute wieder da (jaaa, ich kann es nicht lassen) aber dieselbe Dame war freundlich zu mir.
Oder es war ihr evil twin.
Jedenfalls können Berliner wohl doch auch nett sein, sogar hilfsbereit.
Uff nix kannste dir mehr vaalassn, wa?


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