Dem Ingenieur is nix zu schwör

UPDATE: ganz unten gibts was Neues.

Auch nicht, einigen Fragenden zu erläutern, warum ich nicht in Panik verfalle, wenn ich höre, dass in einem japanischen Kernreaktor eine Kernschmelze nicht mehr zu verhindern ist. Was übrigens noch nicht beschlossene Sache ist: bisher war sie noch zu verhindern.

Vorneweg: ich bin erklärter Gegner der Nutzung von Kernenergie. Aber eben nicht, weil ich die AKW für gefährlich halte sondern vor allem und überhaupt wegen des Strahlendreck, den sie produzieren und der eine eklatante Gefahr darstellt, die nicht zu beherrschen ist.

Schnittbild Nuklearreaktor

Anders als z.B. eine Kernschmelze in einem Siedewasserreaktor - wenn er denn ordentlich gebaut ist. Der „Kern“ eines solchen Reaktors ist ein Bündel aus Brennstäben. Jeder Stab enthält den Brennstoff (Uranoxid oder Mischoxid - eine Mischung aus Uranoxid und Plutoniumoxid) in einer Hülle aus einer Zirkoniumverbindung.

Der Begriff „Kernschmelze“ beschreibt dabei den Zustand, dass diese Stäbe schmelzen, also die Hülle der Brennstäbe. Das passiert jenseits der 2300 Grad - also da, wo es schon fast egal ist, ob man in Grad Celsius oder in Kelvin rechnet.

Wenn dieser allerletzte Schlimmstfall eintritt, dann schmilzt sich der heisse Kern durch den Reaktorbehälter und landet im Kernfänger, dem Bett aus Graphit und Beton unter dem Behälter.

Der Film „The China Syndrome“, der nach dem Unfall in Harrisburg gedreht wurde, beschreibt spektakulär unspannend einen Fall, der m.W. nicht eintreten kann: einen geschmolzenen Kern, der unter fortgesetzter Kettenrekation durch die Reaktorhülle und den Kernfänger sich Richtung Erdmittelpunkt verabschiedet. Übrigens käme auch der nicht „In China“ wieder raus: spätestens im Erdkern wäre Endstation, denn da ist die Gravitation Null.

Die Physik der ganzen Chose haben wir an sich alle auf der Schule mal gelernt, wenn auch mehr oder weniger intensiv, denn dieses Thema war irgendwie noch mehr tabu-beladen als das parallel dozierte Thema Sexualkunde.

Kleiner Exkurs: Spaltung von Uran. Natururan ist kaum spaltbar, das spaltbare Isotop 235 ist heutzutage selten geworden. Wenn man aber Natururan „anreichert“, also U-238 entfernt bis der Anteil von U-235 auf etwas über 4% Anteil am Gemisch hat, dann kann man das als Brennstoff gebrauchen. die kritische Masse so eines Gemisches weiss ich grad nicht, sie ist aber im Bereich von Tonnen. Der Begriff kritische Masse kommt auch gleich nochmal erläutert vor. U-235 ist spaltbar. Das heisst: man kann es dazu zwingen, sofort zu zerfallen und nicht nur spontan alle paar Millionen Jahre. Das geht, indem man langsame Neutronen (sog thermische Neutronen, also Neutronen, deren Bewegungsenergie der thermischen Energie eines Atoms entspricht - hat also trotz des Wortes „thermisch“ nichts mit Wärme zu tun) auf das Uran loslässt. Ergebnis: das U-235-Atom fängt ein Neutron ein und zerfällt. Der Rest sind Details, die wir hier mal weg lassen.

Bei der Spaltung von Uran entstehen diverse Tochterkerne - fast alles selber radioaktiv, zerfällt also weiter - und 3 Neutronen. 3 sehr schnelle Neutronen. (Exkurs: wenn man diese schnellen Neutronen benutzt, um aus U-238 Plutonium zu erbrüten, dann hat man einen Brutreaktor mit schnellen Neutronen, vulgo Schnellen Brüter vor sich. Also nicht der Brutvorgang ist schnell sondern die dabei eingesetzten Neutronen. Ist Fachsprache nicht ein stetiger Born der Freude?)

Zwar können auch schnelle Neutronen eine Spaltung von U-235 bewirken, allerdings nicht sehr effektiv: die sind so schnell vorbei, dass der Kern keine wirklich einfangen kann. Allerdings werden die Neutronen gebremst, wenn sie durch Materie flitzen: ständig stossen sie irgendwo an, verlieren so an Energie und sind dann irgendwann thermisch. Falls das noch innerhalb eines Uranklotzes passiert: zack, Spaltung des nächsten Atoms - und wieder 3 neue. Wenn der Klotz gross genug ist, dass im Mittel eines von 3 erzeugten Neutronen wieder zur Spaltung führt, dann haben wir eine Kettenrekation, die sich selbst erhält. diese Grösse ist die kritische Masse: nur etwas mehr, und die Kettenreaktion eskaliert, weil im Mittel mehr als ein Neutron zur nächsten Spaltung führt.

Kernreaktoren werden so gebaut, dass keine kritischen Massen auftreten können. Zum einen sind die bei 4%-Brennstoff eh riesig, zum anderen will man das auch gar nicht. Hat man einen unterkritischen Kern, kann man mit einem Moderator dennoch eine Kettenreaktion herstellen: man nimmt ein Material, das Neutronen abbremst (aber nicht zu viel absorbiert) und kann so einen Zustand einstellen, wo eine Kettenreaktion aufrechterhalten wird. Man kann diese sogar modulieren: mehr oder weniger stark anschwellen lassen (z.B. im Mittel 1,1 Neutronen passend bremsen) oder löschen (Neutronen wegfangen).

Ich habe es nicht nachgeprüft oder -gerechnet, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand dämlich genug ist, einen Kern zu bauen, der eine kritische Masse erzeugen könnte.

Was passiert nun bei der Kernschmelze. Bzw. erstmal: warum schmilzt der Kern nicht? Weil er gekühlt wird: Wasser nimmt die Energie auf und kühlt die Brennstäbe (also den Kern). Wenn diese Kühlung ausfällt, weil die Pumpe versagt (wie jetzt in Japan), dann fällt der Reaktor trocken, die Brennstäbe überhitzen und schmelzen. Dazu muss aber schon eine Menge schief gehen: Ausfall der Kühlung, versagen der Notkühlung und so weiter. Die Notkühlung mit Meerwasser - wie in Japan praktiziert - ist der Tod des Reaktors (er kann nicht wieder in Gang gesetzt werden), verhindert aber idR. die Kernschmelze.

Wenn der Kern dennoch schmilzt, dann brennt er sich durch den Stahl des Reaktors und landet im Kernfänger. Der besteht aus Graphit. Auf der Graphik von Telepolis kann man erkennen, dass um den Reaktor nochmals ein Sicherheitsbehälter angeordnet ist, der sich birnenförmig unten erweitert. Da drin wird im Fall der Schmelze der Albtraum eingeschlossen.

Moment mal? Graphit war doch das grosse Problem in Tschernobyl? In der Tat war der sovietische Reaktor mit Graphit moderiert und das Zeug hat angefangen zu brennen und sehr zum Problem beigetragen. Graphit ist nun mal reiner Kohlenstoff und der brennt bekanntlich.

Allerdings ist Graphit auch enorm hitzefest. Und ein Moderator. Wie gemacht für eine Wanne, in der ein geschmolzener Kern aufgefangen wird: das Graphit schmilzt nicht (weil hitzefest) und moderiert - es bremst Neutronen. Die so entstehende Übermoderation löscht eventuell noch vorhandene Kernreaktionen des Urans.

Wenn ein Reaktor abgeschaltet wird, dann dadurch, dass man Neutronenfänger (Bor ist der Klassiker) in den Kern hineinfährt: die Neutronen werden gefangen, spalten kein Uran mehr, Kettenreaktion erlischt. Das ist in Japan so geschehen.

Das Hitzeproblem ist damit aber leider nicht weg: die Spaltprodukte des Urans zerfallen. Ganz von alleine: sie sind radioaktiv. dabei wird weiter Energie frei, die im Normalbetrieb mit genutzt wird, jetzt aber stört. Diese Wärme macht in Japan grad die grossen Kopfschmerzen: die Schnellabschaltung hat funktioniert, die Restreaktionen erzeugen aber immer noch Wärme. Diese Wärme der Brennstäbe ist übrigens der Grund, warum Castor-Behälter die Kühlrippen haben. Die Wärme muss also weggekühlt werden, sonst erwärmt sich die ganze Chose auf die Temperatur, wo der Zirkonmantel weich wird: die Kernschmelze - und ab gehts ins Graphitbett.

Dieser Zustand ist extrem teuer, aber immer noch nicht katastrophal wie Tschernobyl: die dritte Sicherheitsbarriere wird noch nicht durchstossen, das fiese Zeug wie Strontium, Cäsium und Jod bleibt eingeschlossen, auch das Plutonium. Nur die Bergung wird entsetzlich aufwendig, viel aufwendiger als wenn man die Brennstäbe durch Notkühlung (z.B. mit Seewasser) am Weichwerden gehindert hätte.

Panik? Kein Grund dazu.

An sich begrüsse ich das Wiederaufleben der Debatte um die Kernkraft und auch die Tigerentenkoalition hat ja entsetzt zur Kenntnis genommen, dass die Weitersubvention der Kernkraft politisch wohl keine so excellente Idee war.

Aber doch bitte sachlich bleiben: die Kraftwerke selbst sind nicht das Problem und waren es nie, es ist der Dreck der rauskommt. Und der wird zwar nicht weniger, wenn man heute abschaltet, aber wenigstens nicht mehr mehr! Einfach mal abschalten.

hase at hase dot net

PS: Dass die Kraftwerke nicht das Problem sind, beweist aktuell Japan! Beben der Stärke 9? NEUN? Und nicht ein Teil des Containment gebrochen? Respekt!

Könnte man besser machen: Notdiesel auf Lastwagen in Reserve halten, die innerhalb der Batterielaufzeit rankommen können, vielleicht Wasservorräte mit Reliefenergie (aka Wasserturm) vorhalten (geht das? Welche Mengen sind gefragt?) oder so. Aber im Grunde: Respekt, dass da überhaupt noch was steht.

Update: „Könnte das auch bei uns passieren?“ Eventuell ja.

Ist nicht komplett auszuschliessen, auch wenn 9er Beben und turmhohe Tsunamis hier seltener zu beobachten sind - die Nordsee ist doch friedlicher als der Pazifik. Dennoch kann auch in Deutschland was passieren. Aber nochmal: für mich kein Grund zur Panik sondern zur überlegten, vernünftigen Aktion gegen die Kernkraft. Selbst wenn garantiert, 100%, ganz sicher nichts passieren könnte: wir würden noch immer verstrahlte Erde hinterlassen - ein Unding.

Daher wurde die Diskussion um die „Sicherheit“ der Kernkraft in den 70ern und 80ern auch bewusst immer nur im Bereich Reaktorsicherheit geführt: da wo man wirklich sicher sein konnte, das im schlimmsten Fall immer noch alles unter Kontrolle bleibt. Die unbeherrschbaren Teilprobleme wurden niedlich benamst („Entsorgung“ - und wech sind sie, die Sorgen) und ignoriert.

Update 16-Mar So langsam mache ich mir doch Sorgen: wenn wirklich ein Kern in einem Abklingbecken steckt - weil der Reaktor gewartet wird - und dieses Becken nicht gekühlt wird, dann wird es verdammt eng. Also dann, wenn darin wirklich das Wasser verkochen sollte, denn die Abklingbecken liegen ausserhalb des Containments, das einen schmelzenden Kern auffangen kann.

Immer wieder ist die Rede davon, dass das primäre Containment von Reaktoren beschädigt sein. Das macht einigen Leuten grosse Sorgen. M.W. ist das primäre Containment die Hülle des Brennstabes, also die Legierung aus Zirkonium. Diese ist primär, weil sie die innerste Schicht ist, die das Höllenzeug einschliesst. Klar wird die als erste beschädigt: Kernschmelze ist genau der Punkt, wo diese Hülle weich wird bzw. schmilzt. Danach müssen die drumherumliegenden Containments greifen wie oben dargestellt. Das Abklingbecken ist m.W. jedoch nicht dafür ausgelegt, einen auch nur auf Restzerfallswärme laufenden Kern festzuhalten: wenn da die Kühlung nicht mehr ausreicht, dann wird es gefährlich. Solange allerdings noch Meerwasser in das Becken gepumpt werden kann, sollte auch das unter Kontrolle bleiben.

Auch der Begriff „Ausser Kontrolle“ wird immer wieder verwendet. Feuerwehren verwenden diese Worte in Bezug auf Brände: da ist ein Brand unter Kontrolle oder ausser Kontrolle. In der Alltagssprache hat das jedoch einen anderen Klang: da klingt „ausser Kontrolle“ immer genau wie „jetzt ist alles aus“. Ist es m.E. noch nicht, auch wenn die Lage sicher sehr ernst ist, insbesondere weil inzwischen die Mannschaften, die die Notmassnahmen durchführen auf eine entfernte Kommandozentrale zurückgezogen werden mussten.


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Politik