Immer knifflig. Nach, und vor, und überhaupt. Geht ja gerne in Grübeln über und da bewegen sich Gedanken dann vor allem im Kreis. Manchmal mag man glauben, dass dabei gelegentlich ein Gedanke von der Zentrifugalkraft herausgeschleudert und damit verwertbar wird; aber in der Regel stellen sich Gedanken beim Grübeln als masselos heraus, Zentrifugalkraft kann man also vergessen.

Wenn ich Artikel lese wie die Filmkritik der Telepolis über La Conquete lese, dabei Sätze wie „politics is show buisiness for ugly people“ in der Grübelschleife rotieren, dann fühle ich mich immer einer der berühmtesten Romanfiguren nahe, die Douglas Adams geschaffen hat: Marvin. Yes, ideed, I am feeling very depressed.

Gelegentlich lese ich ja Science Fiction und wider besseres Wissen auch immer mal wieder Niven/Pournelle; zuletzt Oath of Fealty (deutsch: Todos Santos). Die gemeinsamen Werke dieser beiden Autoren sind ja üblicherweise erheblich besser als das, was sie alleine geschrieben haben - jedenfalls für mein Gefühl: bei Pournelles entführter Armee (engl. The Sundering Flood) schimmert dem Pazifisten in mir immer zu sehr der Artillerieoffizier in Pournelle durch. Auch damals schon, als ich das Buch gelesen habe.

Ich habe ja in gewisser Weise mit Pournelle englisch lesen gelernt. Die Grundzüge, die wir auf der Schule gelernt haben (Englisch war irgendwie fünftes Rad am Wagen, Latein und Griechisch waren vorn) reichten hinten und vorne nicht, erst die Teilnahme an news (was heute „Usenet“ heisst, damals aber noch über ein 2400er Modem bequem in 3 Stunden saugbar war, comp.* wohlgemerkt) und eMail (via uucp mit Bang-Pfaden und ohne @-Zeichen) und vor allem ein Jahresabo der Byte brachten mir in den 80ern das Englische so nahe, dass ich beginnen konnte, Adams oder Pratchett im Original zu lesen. Bruce Webster hat daher als Kolumnist und nicht nur als Autor eines meiner Lieblings-Computerspiele mein Leben sehr beeinflusst - und eben Jerry Pournelle mit seiner Columne „computing at chaos manor“.

SciFi und Fantasy hat mich schon als Schüler fasziniert, irgendwie alles durcheinander, echte Literatur (wozu man Pratchett sicher zählen muss) wie auch ziemlicher Schund (Perry Rhodan). Und dann kam Luzifers Hammer, dieser wirklich spannende Roman, der zum Nach-Denken anregt. Und natürlich zum Lesen weiterer Werke z.B. desselben Autorengespanns. Selbst jetzt, ca. 2 Dekaden später, also Oath of Featly/Todos Santos. Davor schon einmal Fallen Angels (der hier als freies eBook zu haben ist). Und das als „great“ und mit Prometheus-Award ausgezeichnet wurde.

Ok, als Roman ja ganz nett, eine Idee stringent durchdekliniert: da haben die Autoren vor-gedacht, Gedanken zuende gedacht und dann in einen auch spannenden Roman verpackt. Das mit dem „spannend“ muss ich extra betonen, denn anderen Autoren gelingt das eher weniger: so ist Cory Doctorows Little Brother zum Beispiel (frei erhältlich) das unspannendste Buch, das ich jemals gelesen habe; und ich habe de bello gallico gelesen! wie ausgerechnet einer meiner Lieblingsautoren (Neil Gaiman) darauf verfallen kann, das Buch zu loben ist mir unerklärlich. Der Prometheus-Award für das Buch nicht so: der Award ist ja qua definitionem „libertär“, ein gegen Polizeistaat erhobener Zeige-Holzhammer ist also ein gutes Mittel ihn anzulocken.

Aber zurück zu Fallen Angels und der darin mit dem Holzhammer in das Publikum gedroschenen Vorstellung, dass jeder „Öko“ ein Terrorist ist. Auch in Oath of Fealty/Todos Santos gehen Niven/Pournelle keinen Zentimeter von dieser Ansicht weg. Die „Tree Huggers“, eco-activists und so weiter: alles fiese Terroristen. An einer Stelle lassen die Autoren in Oath of Fealty den Ober-Terroristen seine Überzeugung aussprechen - bzw. gerade nicht diese Figur (Renn) sondern den ertappten Maulwurf (Strahler) „Don‘t you understand that technology is not the answer, that using technology to fix problems created by technology only puts you in an endless chain?“

Für Niven und Pournelle ist Technologie immer zielführend, immer positiv und jede Kritik daran ist immer gleich Terror; eine andere Form der Kritik gegen ihren Extremismus können sich die beiden wohl nicht vorstellen - zumindest taucht er nicht in ihrem mir bekannten Werk auf. Wer es besser weiss, gebe mir die entsprechenden Hinweise.

Andere SciFi-Autoren dagegen wandeln sich im Laufe ihres Lebens von Technophilen zu teils harschen Kritikern der Technik. Noch 1957 zeigte uns der grossartige Stanislaw Lem noch einen fröhlichen Ion Tichy (sehr schön in Bilder und Dialog gefasst für das ZDF als Mini-Serie Raumpilot, die für kleines Geld auf DVD zu haben ist) , der uns durchaus zu nachdenklichen Momenten entführt - in der Tat sieht die Menschheit auf dem futurologischen Kongress eher sehr barbarisch aus, der aber als fröhlicher Weltraum-Münchhausen irgendwie mit allem klarkommt.

Auf seine älteren Tage verabschiedet Lem sich dann von der Science Fiction und wendet sich nur noch der Realität zu - einer eher deprimierenden Realität die nicht mehr zu fröhlichen Zukunftsvisionen einlädt.

Für mich ist SF heute dann am interessantesten, wenn sie sich nicht so sehr mit Technik sondern damit befasst, wie sich diese Technik auf Menschen auswirkt.

Insofern kann ich politisch interessierten Oath of Fealty als Denkanstross durchaus empfehlen. Hier entsteht in einer Kunststadt ein neuer Gesellschaftstypus. Zum Teil auch als Reaktion auf geänderte technische Umstände.

In der Arkologie Todos Santos gibt es keine Privatsphäre, die Bewohner sind allesamt Mitglieder der Spackeria im Herzen: ein die Arkologie besuchender Journalist bemerkt, dass eine halbnackte Frau in einem Laden sich ihrer mangelnden Bekleidung erst schämt, als sie ihn als „Angelino“, als Nicht-Mitglied der „grossen Familie“ erkennt.

Da sind schon einige Denkanstösse: die Bevölkerung von Todos Santos geniesst diesen Zustand offenbar. Wie realistisch ist das? Geht das - wenn überhaupt - nur in so einer Parallelgesellschaft, die sich durch eine Form der Belagerungsmentalität entwickelt (wie das die Autoren auch für die „Saints“, die Bevölkerung von Todos Santos offenbar annehmen)? Auch darüber, wie lange so ein Konstrukt stabil ist, geben uns die Autoren nur Denksportaufgaben mit; andererseits beschreibt Niven schon 9 Jahre vor Oath of Fealty eine scheiternde künstliche Welt in seinem Roman „Ringwelt“. Dass die beiden Autoren in der Lage sind, andere Gesellschaften zu denken, haben sie in dem (m.E. zu Recht) preisgekrönten Roman „The Mote in Gods Eye“ (Der Splitter im Auge Gottes) gezeigt. Die Darstellung einer völlig anderen Gesellschaft, die sich auf einem isolierten Planeten entwickelt, ständig unter Bevölkerungsdruck und konfrontiert mit den begrenzten Ressourcen wie „Planetenoberfläche“ oder „Sonnenenergie“, ist dabei ebenso konsistent wie die Darstellung einer in das Weltall expandierten Menschheit, die durch diese Expansion praktisch unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung hat und entsprechend mit ihnen umgeht.

Die Erkenntnis, dass nur wenige Jahrzehnte in die Zukunft projiziert unsere heutige Lebensweise nicht haltbar ist, muss solche Denker und Schreiber hart getroffen haben. Nivens starker drive, die Menschheit in den Weltraum zu bewegen, mag daher rühren.

Für mich dagegen ist die Konsequenz, dass wir mit den uns verfügbaren Ressourcen, z.B. „Planet“, sorgsam umgehen müssen: nicht die Suche nach den Möglichkeiten, wie man so wie heute weitermachen kann, sondern die Suche danach, wie man es morgen anders und besser machen kann, steht für mich im Vordergrund.

Huch? Da ist ja doch ein echter Gedanke aus der Grübelschleife herausgekommen.


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Politik