Nicht-Herrschaft

Wenn man Herrschaft-durch-ausgeübte-Macht mit dem griechischen archeia benennt, dann wäre der gesellschaftliche Zustand, in dem niemand Macht über einen anderen ausübt, die Nicht-Herrschaft oder An-archeia. Das deutsche Lehnwort „Anarchie“ hat eine ganz andere Bedeutung, daher verwende ich es nicht.

In so einer utopischen Nicht-Herrschaft übt also niemand Macht über einen anderen Menschen aus. Das ist nicht dasselbe wie keine Macht zu haben. Es ist die noch schwierigere Variante: Macht haben aber nicht benutzen. Freiwillig. Aus ganzem Herzen.

In so einer utopischen Gesellschaft wären - Menschen frei: alle Handlungsoptionen stünden offen - keine Gesetze vorhanden - keine die Gesetze durchsetzende Staatsgewalt vorhanden

Wo niemand etwas schlechtes tut - wohlgemerkt aus innerem Antrieb, nicht aus Zwang oder Angst - da muss auch niemand bestraft werden: => ein Strafsystem inklusive Judikative und Exekutive wäre absurd.

Die Tatsache, dass mit realen Menschen diese Idealvorstellung wohl nicht zu erreichen ist, erkenne ich gern an.

Aus der Unerreichbarkeit folgern einige, dass man diese Utopie fliehen muss, dass man davon möglichst weit weg kommen muss.

Diese Folgerung lehne ich ab. Ich will lieber näher ran.

Ich war selbst erstaunt, als ich lernte, dass diese Haltung nach üblicher Klassifikation zum grossen unscharfen, ja undefinierten Gebiet des Linksradikalismus gezählt wird. Aber wenn ich als Pazifist linksradikal bin, dann bin ich es eben; mit nur 2 Polen und nur einem Gegensatzpaar kann man eben nicht alle Haltungen klassifizieren.

Wer „extremistisch“ und „diktatorisch“ gleichsetzt, macht einen Fehler. Dieser ist verständlich: die Diktaturen basieren nicht immer auf menschenverachtenden sondern gelegentlich auf sehr löblichen Utopien, wie die Geschichte zeigt. Die Gleichsetzung bleibt aber ein Fehler.

Die Zielvorstellung ist also nicht umsetzbar, aber kann uns die Richtung weisen auf eine Gesellschaft - ohne Gewalt und - mit minimierten Zwängen.


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Politik