Dizzy¶
Es gibt ja eine Reihe von Gründen, warum man sich irgendwie flau fühlen kann.
Jeder kennt wohl das Gefühl, wenn beim Drehen des Kopfe das Gehirn irgendwie fühlbar hinterherschwappt.
Interessanterweise sind einige der Gründe dafür sehr unangenehm, die anderen hochwillkommen, wieder andere sind unangenehme Folgen hochwillkomenen Genusses, so wie der Kater am Morgen danach.
Für mich ist grad irgendwie die Woche danach.
Nach der #om10 zum Beispiel. Mir schwirrt irgendwie der Kopf mit Gedanken. Irgendwie kann man in 2 Tage mit Piraten mehr Eindrücke, Inspiration, Konfrontation und einfach albernen Blödsinn packen, als ein anständiger Normalbürger im ganzen Jahr konsumiert. Albernen Blödsinn weisen jetzt gerade 80% aller Leser weit von sich, gehen dann aber doch wieder zum Karneval oder zu Mario Barth in die O2-Arena, also fasst Euch an die eigenen Nase. Spass muss sein, muss Raum haben, sonst wäre das Leben unerträglich und die Politik noch viel mehr. Konfrontation ist knifflig. Sie ist notwendig, denn Menschen sind Individuen (ja, Du auch!) und sind gleichzeitig soziale Wesen: sie können nur in Gesellschaft existieren. Der Grizzly ist ein Einzelgänger, diese Tiere kommen nur zu Paarungszwecken zusammen und gehen sich sonst aus dem Weg; die können das, homo mehr oder weniger sapiens kann das nicht.
Konfrontation ist notwendig, weil wir nur so von anderen lernen können. Sie ist knifflig, weil sie aktiv gemanagt werden muss: wenn die Konfrontation entgleitet, tut sie weh und dann agieren verletzte Menschen. Und diese agieren eigentlich immer falsch.
Auch bei der #om10 sind wieder Konfrontationslinien innerhalb der Piraten deutlich geworden, die uns zu schaffen machen.
Diese Belastung zu überwinden wird viel Kraft kosten, und diese Kraft aufzubringen und zu verwenden wir sich komplett überflüssig anfühlen.
Eine CSU hat das jahrzehntelang super hinbekommen: alle waren sich immer komplett einig. Wer nicht in Resonanz schwang, wurde auf die Grundfrequenz des Parteivorsitzenden gestimmt oder entfernt, und alles war wieder im Gleichklang.
So gesehen hat Harmonie dort wenig Platz, irgendwie ist das schon unsexy, sich alle Nase lang einem Mehrheitsdiktat unterwerfen zu müssen. |
Nach dem Messeaufbau. Für meinen aktuellen Hauptkunden entwickle ich gerade ein Gerät, das so ziemlich alle Register meiner Erfahrungsorgel zieht. Der Service im Hintergrund hat ein Web-Frontend - wie wohl alles heutzutage - und genau in dem Bereich habe ich zuletzt einige Jahre gearbeitet. Die Hardwarekomponente ist das, was man heutzutage Mixed Signal Device nennt: ein embedded-Gerät mit Prozessor, der analoge Signale auswertet und erzeugt. Daneben ist noch ein Funk-Transponder drin, also ist es ein HF-Gerät und ich bin irgendwie wieder 15 Jahre alt und grad mit der Amateurfunklizenz beschäftigt.
Nur hat sich in den Jahren danach nicht nur die Technik rapide weiterentwickelt, auch auf meine damals passablen Kenntnisse hat sich offenbar eine dicke Staubschicht gelegt, die ich erst entfernen musste.
Ist ja nicht so, dass ich nicht früher schon mal versagt hätte - nur wer überhaupt gar nicht arbeitet macht keine Fehler.
Mein Kunde präsentiert auf der Messe nicht selbst sondern liefert einem Kunden zu, der auf der Messe ausstellt.
Was ich bekanntlich nicht darf: Frauen zu bewundern - als Mann noch dazu - bedeutet ja, einen Unterschied zu machen. Und das schlägt gewissen Menschen allerlei Geschlechts immer wieder auf den Magen und lässt sie die political correctness-Keule schwingen.
Seit Jahrzehnten erlebe ich also nun, dass Frauen keine Komplimente mögen. |
Mein Pech ist, dass ich bei den Piraten bin.
Da haben wir Frauen in der Partei. Zu wenige, zugegeben, aber die, die da sind, sind echt Klasse. Bisher nicht einer jener Hohlkörper anzutreffen, der im sonstigen Alltagsleben allgegenwärtig ist: Menschenähnliche Gestalten ohne Hirn, die sich selbst genügen, wenn sie nur aussehen, wie der aktuelle Trend das vorschreibt.
Auf der #om10 bin ich aber nun einer Frau begegnet, die irgendwie im Zentrum meines aktuellen Gedankenwirbels steht.
Konfrontation, Inspiration, Gefühl, versagt zu haben, Bewunderung, alles kommt hier zusammen.
Klar wurde mir das in den Gesprächen mit einer andern Frau, die grad wieder zu Besuch in Berlin ist und dankenwerterweise ihre Zeit opfert, mich zuzutexten mit ihren teils radikalen, teils verworrenen, in der Regel aber excellenten Ideen. Und alle so, dass ich im Leben selbst nicht darauf gekommen wäre.
Bei anderen würde so eine Konfrontation wohl Abneigung, Abwendung oder Konflikt auslösen.
Oder diese Impulse würden überbrückt von sexueller Attraktion: wenn ein Kerl scharf ist auf ne Braut, dann erträgt er gelegentlich auch dummes Zeug oder wie in diesem Fall hoch intelligente Ideen, die im krassen Widerspruch zu seiner eigenen Haltung stehen.
Bei Amelia habe ich mich schon daran gewöhnt, dass wir eine grosse gemeinsame Basis haben (und wohl deshalb beide Piraten sind) und dass wir bei einigen Themen komplett konträrer Meinung sind.
Und dass ich mich in Acht nehmen muss, mich nicht schon wieder in einer Frau zu verlieben, die meine Tochter sein könnte. Also altersmässig.
Die Distanz unserer Lebens- und Erfahrungswelten (verschiedene Generation, kulturelle Varianten zwischen Schweden und Deutschland) lässt auch gar nichts anderes zu.
Und wie zuvor hat mich diese wundervolle Frau auch diesmal verzaubert.
Ein Satz, der einen Grossteil einer Konfrontation meiner Person, meiner Ansichten und meiner Ideen für die kurzfristige Zukunft der Piratenpartei mit einer anderen Person und deren Vorstellungen schön zusammenfasst, sticht wie ein Leuchtturm jetzt aus der Menge der Eindrücke von der #om10 heraus.
„Piraten haben offenbar Angst vor Gefühlen“.
So tönte es mir entgegen am Ende einer Diskussionphase nach einem Vortrag, kurz vor Ende der ganzen #om10.
Ja, Recht hast Du.
Zumindest dieser eine Pirat, der hier grad wieder viel zuviel in diese Tastatur hämmert, hat in der Tat noch immer Angst vor Gefühlen.
Und damit bin ich wohl nicht allein bei den Piraten.
Zumindest die Männer sind in der Mehrzahl keine kompletten Männer.
Das Geektum, das nerdische, die Technik-Verliebtheit vieler männlicher Zeitgenossen erscheint mir in diesem Moment als eine Folge dieses Mangels.
Denn es ist für einen Menschen ein Mangel, wenn er keine Gefühle hat, bzw. damit nicht umgehen kann, und in der Folge Angst davor hat.
Aber Angst hat einen Zweck: sie macht Mut möglich, der ja nicht in der Abwesenheit von Angst besteht (das ist Leichtsinn, kein Mut) sondern im Überwinden der Angst.
Daher hier der Satz an die Männer, die eben keine echten Männer, keine kompletten Männer sind: wer nur nachgemachte Gefühle hat, ist eben kein kompletter Mensch. Nur Mut, man kann sich komplettieren.
Hmm, ist wohl doch eher ein Satz an mich denn an andere.
No wonder, I felt dizzy all week.
It‘s getting better now.