piraten vor dem Schloss Bellewue

Dunkel war's, das Schloss schien helle
als Piraten blitzeschnelle
beim Bundespräsidenten zuhause vorbeischauten.
Foto: Bernd Brincken

Wie schlau ist Bundespräsident Köhler eigentlich?

Genial ist er, nicht nur schlau.

Was für ein Coup.
Heute hat Bundespräsident Horst Köhler das umstrittene Gesetz mit dem sperrigen Namen „Zugangserschwerungsgesetz“ unterzeichnet, damit kann es in Kraft treten. Auch wenn die aktuelle Regierung jetzt eigentlich dagegen ist. Speziell die FDP will es kippen, aber m.W. ist der einzig konkrete Antrag in dieser Richtung von den Grünen gekommen.
Und nun unterschreibt der Bundespräsident.
Genial.

Gut, das Gesetz selbst ist eine Katastrophe.
Was für ein haarsträubender Unsinn, mit einer geheimen Zensurinfrastruktur Kinder schützen zu wollen. Die Zensurlulaschen Stoppschilder bewahren nicht ein Kind vor der Vergewaltigung, schützen kein einziges Opfer.
Sie lenken vom entsetzlichen Leid höchstens ab, decken das Mäntelchen des Totschweigens darüber. Aber womöglich war ja genau das beabsichtigt.

Und kaum ist der Wahlkampf 2009 zuende, da rudert man an allen Fronten zurück. Die SPD rudert dabei schön im Schlinger-Zickzack, und selbst der jetzige Finanzminister bezeichnet das Gesetz als Fehler und versucht es, einfach unter Wahlkampfgetöse zu buchen.
Hallo Piraten! Merken! Wahlkampf mit echten Inhalten will in Deutschland keine Sau sehen. Im Wahlkampf ist alles erlaubt, selbst das, was der Rest guten Geschmacks im Karneval noch verbietet!
Also: das Gesetz ist dummes Zeug vom Feinsten, alle haben es erkannt und eigentlich gehört es schnellstens weg.
Am bequemsten wäre es dabei natürlich gewesen, der Bundespräsident hätte es kassiert (=nicht unterschrieben), und die Affäre wäre erledigt.

Hat er aber nicht, der schlaue Kopf.

Und nun haben wir eine für uns ausserparlamentarische Opposition an sich traumhafte Situation.
Die Regierung als Exekutive ist gezwungen, dieses Gesetz jetzt anzuwenden.
Denn wenn sie es nicht tut - wie es in der Koalition ja vereinbart war, hier war von „aussetzen“ für ein Jahr die Rede - dann missachtet sie den Souverän.

Ist das nicht traumhaft?
Die Regering Merkel-Westerwelle mit der Arbeitsministerin von der Leyen muss jetzt ernsthaft die Suppe auslöffeln, die die Familienministerin von der Leyen eingebrockt hat.

Nur schade, dass in all dem Getöse zwei Dinge auf der Strecke bleiben
Zum einen der Schutz der Kinder.

Wie erwähnt: all dieser Aktionismus mit Sperren und auch mit Löschen attackiert nur Nebenziele.
Ja, in der Tat darf Kinderpornographie nicht im Netz verfügbar bleiben.
Löschen ist daher der richtige Ansatz und die Piraten haben das schon immer gefordert.

Vielleicht nicht immer geschickt ausgedrückt.
Die völlig korrekten, aber vielleicht übermässig markigen Worte des Pressesprechers Simon Lange wurden landauf, landab falsch zitiert und dadurch entstellt, wie hier schön dokumentiert ist.
In der Tat ist ein „Löschgesetz“, völlig überflüssig, da der Besitz von Kinderpornographie schon jetzt strafbar ist, jeder Hoster bei Kenntnis also sofort löschen wird.

Wichtiger wäre es, festzustellen, wo Kinder misbraucht werden, Täter zu ermitteln und zu bestrafen.
Und nicht einfach wegzusehen, bis die Taten verjährt sind: der Schaden, den die Opfer nehmen, verjährt nämlich nicht einfach so.

Frau von er Leyen wurde im Wahlkampf 2009 nicht müde, immer wieder zu behaupten, dass „im Internet“ Kinder auf Bestellung vergewaltigt, missbraucht, gequält würden und dass dafür ein Publikum zahlen würde.
Mit dieser „Argumentation“ wurde dann ein Gesetz begründet, das Zufallskontakte mit dem besagten Material erschweren sollte.
Hmm: Weil es ein Stammpublikum gibt, das extra bezahlt, sollen alle anderen von Kinderporno ferngehalten werden?
Wie das Stoppschild-Gefrickel so einen Markt austrocknen sollte, wird wohl immer das Geheimnis der Strategen im Familienministerium bleiben.

Mir ist nicht klar, wie Kinder „im Internet“ missbraucht werden können.
Den Missbrauch muss doch irgendwie immer ein Mensch begehen. In einem Zimmer oder unter freiem Himmel, aber „im Internet“?

Wenn es in der Tat einen Markt für Kindesmissbrauch auf Bestellung gibt, dann muss der schleunigst beseitigt werden. Die Täter gehören ermittelt und in den Knast, ggf. mit Sicherungsverwahrung zum Schutz möglicher späterer Opfer.

Aber was hat das alles mit Internet zu tun?
Bekommen wir demnächst auch wieder eine zentrale Postkontrolle, z.B. nach dem bewährten Muster, mit dem die DDR den Postverkehr mit der Bundesrepublik so hervorragend - äh - „abgesichert“ hat?
Denn Kinderporno-DVDs könnten auch mit der Post geschickt werden.

Diese Rumgefrickel am Internet lenkt doch nur ab.
Es sendet das Signal an die Kinderschänder „macht nur weiter, wir verfolgen erstmal andere, ihr bleibt schön unbehelligt“.
Denn ein gefasster Kinderschänder ist ja nur ein gelöster Fall.
Einer seiner Kunden geht als mehrere Hundert gelöste Fälle in die Statistik ein: für jeden Download, jede DVD, jedes Postpaket gleich mehrere, weil mehrere Bilder/Videos.
Genau so macht man toll klingende Statistiken, nicht mit geschützten Kindern.
Zum anderen die sonstige textuelle Diarrhoe, die heutzutage als Gesetz durchgeht.
Das Hanseatische Oberlandesgericht hat ja gerade wieder Rechtsfortbildung betrieben an einem Gesetz, das an sich schon fragwürdig ist.

Dem Geiste nach kann ich ja noch verstehen, das man bei Kinderpornographie wirklich richtig feste vorgehen können will.
Vielleicht sogar noch mehr als bei Drogen- oder Waffenbesitz, den beiden anderen Besitztatbeständen die mir so unmittelbar einfallen.

Bei Kinderpornographie ist der Besitz strafbar, und es macht sich sogar strafbar, wer es unternimmt, sich den Besitz von kinderpornographischen Schriften zu verschaffen. „Schriften“ schliesst übrigens alle Arten von Darstellungen ein, auch Bilder jeder Form.
Der Tatbestand fängt also extrem früh an: der Versuch eines Besitzes und Vorbereitungshandlungen sind bereits Straftat. Das ist gewaltig, gemessen an anderen Tatbeständen aus dem STGB.

Ich kann diesen Wunsch gut nachvollziehen, geht es doch um Kinder, um besonders des Schutzes aller bedürftige Menschen.

Aber das Hanseatische Oberlandesgericht geht meines Erachtens zu weit, wenn es den Besitzbegriff so weit vorverlegt wie in diesem Urteil.
Im konkret verhandelten Fall mag das gerade noch angehen, denn hier hat der Angeklagte tatsächlich sich Kinderpornographie verschaffen wollen.
Dennoch kann man in einer Darstellung im Browser nicht den Besitz sehen.

Denn dieser Tenor lüde zum Misbrauch ein.
Jeder von uns könnte damit zum Täter gemacht werden, indem ein Spammer einfach ein passendes Bild sendet: mit dem Herunterladen der entsprechenden Mail vom Server wäre der Tatbestand dann erfüllt?

Die Intention hinter dem Gesetz und dem Urteil mag zwar verständlich sein, nüchtern betrachtet ist das Gesetz aber Unfug.
Der Begriff der Kinderpornographie ist so weit gefasst, dass jede Darstellung eines Kindes - auch Zeichnungen, also irreale Szenen - die von einer Person als erregend angesehen werden könnten, darunterfällt.
Das gilt genau genommen für jedes Strandfoto, das unbekleidete oder in Badesachen bekleidete spielende Kinder zeigt. Denn es gibt schliesslich die Perversen, die sich davon erregt fühlen.
Eine Darstellung von 18-Jährigen (=legal) wird mit Bilduntertitel „hottest preteen on the net“ dann ebenfalls zur Straftat, denn jetzt könnte sich jemand vorstellen, dass da Minderjährige abgebildet sind.

Das geht schlicht zu weit, es eröffnet zu viel Möglichkeit zum Misbrauch.
Und es schützt wieder einmal kein einziges Opfer sondern bindet nur dringend für die Verfolgung von Kinderschändern benötigte Kräfte an der falschen Stelle.

Solche Gesetze sind Unfug.
Und sie immer weiter zu verschärfen, übereifrigen Staatsanwälten und Richtern beim Ausleben ihres GBI-Hasses damit Vorschub zu leisten, hilft nicht die Bohne.


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Politik

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