Früher war alles besser.

Immer schon, wie einer meiner Lieblings-Autoren grad wieder so wunderschön dargestellt hat:

[http://xkcd.com/1227/]

Kann es sein, dass man ab einem gewissen Alter automatisch in diese „früher war es besser“-Stimmung kommt? Ok, nicht alle, der Jochen Malmsheimer („Der Vorverkauf läuft, kann aber eingeholt werden!“ ist im passenden Alter aber seine wasserklare Erkenntnis ist differenzierter. Seine mit „einem Hauch Emotion“ vorgetragenen Gedanken dazu sind immer wieder und wieder ein Ansehen wert, nicht wahr?: [http://www.youtube.com/watch?v=1iciN5y6nF0]

Dass die Jugend von heute völlig verloddert und verdorben ist, ist auch klar. War es schon immer, schon alte Römer beklagten sich darüber - kluge Köpfe darunter, die zeitlos Gutes geschrieben haben.

Alles schön, alles gut, alles soweit klar. Tröstend sollten diese aufgeschriebenen Gedanken anderer sein, sollten mir zeigen, dass mein Gefühl, das irgendwie einiges grad dabei ist, den Bach runter zu gehen, sowohl völlig normal (im Sinne von: hat fast jeder irgendwann) als auch völlig falsch ist: alle vorhergesagten Weltuntergänge sind bisher doch immer wieder last-minute abgesagt worden.

Trotzdem wehrt sich mein ungutes Gefühl doch immer wieder gegen diesen Trost, weigert sich, sich darin einfach aufzulösen.

Das könnte daran liegen, dass der Blick zurück neben tröstenden Elementen auch Schrecken bereithält. Ein Schrecken ist der (gottlob immer temporäre) Verlust eines der wichtigsten und grössten Fortschritte, den die Menschheit je gemacht hat. Ich meine die Grundlage, den Kern dessen, was wir „Zivilisation“ nennen: das kodifizierte Recht. Also ein Recht, das für alle Menschen gilt, symbolisiert von einer blinden Justitia ein Gesetz, das auf alle gleich angewendet wird.

Der eine oder andere Leser, der bis hierher durchgehalten hat, wird spotten „das hat es doch nie gegeben!“. Mag sein. Aber dieses Ideal ist uralt und menschliche Gesellschaften waren immer mal wieder verdammt nah dran.

Und immer wieder auch verdammt weit weg. Das Hin-und-Her zwischen Zivilisation und Faustrecht - bitte beachten: es sind gleitende Übergänge möglich, das ist nicht binär-diskret - ist ein Muster, das die Geschichte durchzieht.

Von „Wildwestmethoden“ ist manchmal die Rede, wenn jemand das Fehlen von Recht beklagt, und in der Tat, der „Wilde Westen“ der USA war über eine Zeit und an einigen Stellen geprägt von purem Faust(waffen)recht. Die US Marshals spielten eine wichtige Rolle in dem Bestreben, diesen beklagenswerten Zustand zu beenden.

Spannend, dass die ersten 13 Marshals ausgerechnet 1789 vereidigt wurden. Grad 2 Monate nach dem Sturm auf die Bastille, jenem Wendepunkt der europäischen Geschichte, oder einen Monat nach der Verkündung der Menschenrechte in Europa - auch ein Wendepunkt.

Die Gleichheit vor dem Gesetz, die Abschaffung einer Ständegesellschaft voller ererbter Privilegien für einige Wenige, das war ein Durchbruch. Womöglich der zivilisatorische Durchbruch überhaupt.

Und es war womöglich zu viel, eine zu grosse Pille und daher nicht auf einmal zu schlucken. La Grande Terreur war eine direkte Folge dieser Revolution - und ein Zivilisationsbruch reinster Güte. Genau die Ideale, die die französische Revolution ausmachten, kamen als erste und gründlichst unter die Räder: die Gleichheit vor dem Gesetz.

Heutzutage sind wir natürlich viel weiter. Heute verläuft die Entrechtung nicht über einen Blutrausch, und das, obwohl in manch Nacht-des-ersten-Mai und am Rande manchen Fußballspiels immer wieder gut zu sehen ist, wie viel Blut-Rausch-Lust offenbar doch in Deutschen schlummert oder köchelt.

Heutzutage geschieht der Angriff auf die Gleichheit subtiler. Und von mehrere Seiten gleichzeitig.

Ein Erlebnis der jüngeren Zeit hat mich schockiert. Hat mich über Tage fassungslos zurückgelassen.

Ich habe in einem Gespräch mit einer Person, die ich für gut informiert und recht intelligent halte, erlebt, wie mein Gegenüber ganz offen Sympathien für die AfD „Alternative für Deutschland“ genannte Parteineugründung hegte.

Wie kann ein halbwegs intelligenter Mensch das tun? Die AfD steht mehr als jede andere Partei für die Ungleichheit vor dem Gesetz. Aus dieser Ecke sind immer wieder Überlegungen zu hören, z.B. das Wahlrecht an Besitz zu koppeln. Dort wird also offen über die Wiedereinführung der Ständegesellschaft diskutiert!

Und sind die Stände und Privilegien einmal etabliert, dann lassen sie sich prima dazu benutzen, die Privilegien zu rechtfertigen und zu fixieren.

Mir graust vor der Idee, dass wir auf eine Ständegesellschaft zusteuern. Das Gesetz und die Gleichheit vor demselben müssen wiederhergestellt und nicht weiter zersetzt werden!

Aber die AfD ist noch schlimmer. Denn sie propagiert ganz offen ein Gegeneinander innerhalb Europas. Geht gaa nich!


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Politik