Kirchenruine

Geld und Wert

Was ist eigentlich Geld? Mit dieser Frage befasst sich sogar die Philosophie, und das ganz zu recht. Frau Schlitte macht verschiedene Dinge deutlich: - Geld kann nicht individuelle Qualitäten ausdrücken. - Geld erhebt den Anspruch, es könne alles messbar machen - Geld wirkt selbst auf die Bewertung ein - Geld funktioniert nicht ohne Vertrauen.

Letzteres ist das, was wir in den letzen Tagen aber im Grunde seit 2008 ständig zu hören bekommen: „das Vertrauen der Märkte“ ist da immer ganz wichtig. Als ob „die Märkte“ eine Person oder mehrere seien, also Vertrauen haben können. Ein Markt ist aber nur ein Konzept, nicht eine Person; das fehlende Vertrauen „der Märkte“ ist - wenn man genauer hinsieht - fehlendes Vertrauen von bestimmten Marktteilnehmern: von Handelnden im Markt.

Geld, das ist im Grunde nur das Vertrauen, für das was als Geld gilt, wieder etwas zu bekommen. Dabei ist es egal, ob das Geld dinglich definiert ist - Sesterz, Doublone, Dollar - alles letztlich ein paar Gramm eines wertvollen Metalls - oder abstrakter in Form der Banknote oder einfach einer Zahl auf einem Zettel namens Kontoauszug. Geld besteht aus dem Vertrauen, für diese Zahlen etwas zu bekommen, wenn ich es haben will.

Wer für das Geld gearbeitet hat, hat eine Leistung erbracht, die sich dann in dem Geld ausdrückt, das er erhält. Die Philosophin stellt zutreffend fest, dass Geld hier auch Wertschätzung ausdrückt, auch wenn sie es im Interview nur auf die Wertschätzung für eine Ware bezieht. Dienstleistungen und Arbeit werden aber auch mit Geld vergütet und gemessen. Auch hier ist wirkt der paradoxe Einfluss des Geldes, das selbst auf die Bewertung einwirkt: wenn jemand für seine Arbeit hoch entlohnt wird, dann muss er ja wohl mehr oder wertvollere Arbeit leisten als eine Krankenschwester, ein Polizist oder ein Supermarkt-Lagerist. Eine Zeit lang - im Wirtschaftswunder - hat das gut funktioniert; die hohen Einkommen von Zahnärzten oder Ärzten haben nicht zu Neiddiskussionen geführt, denn die Tätigkeit „macht meine Schmerzen weg“ war und ist hoch angesehen.

Problematisch wird für mich, wenn Geld geschöpft wird ohne Gegenleistung. Es gibt einige Tätigkeiten, bei denen ich mich immer wieder frage, warum diese überhaupt entlohnt werden und der tätige nicht noch Geld von zuhause mitbringen muss dafür, dass man ihm erlaubt, im Büro negative Produktivität zu entfalten.

Im Bereich der Finanzmärkte - und ich muss mich hier wieder als Ingenieur outen, der keine Ahnung von VWL oder BWL oder so hat - frage ich mich immer wieder, worin denn nun die Leistung besteht, die da entlohnt wird - für die also eine Person Geld bekommt. Diese Geld kann der Empfänger ja dann nutzen - wie ich, der ich für meine Arbeit entlohnt werde - um damit Waren und Dienstleistungen zu erwerben, also Leistung anderer.

Also, der Investor, der eine Aktie (oder mehrere) kauft, ist mir noch klar: der erwirbt einen Teil eines Unternehmens und damit Anspruch auf einen Anteil am Gewinn (in Form der Dividende) und partizipiert an der Wertsteigerung des Unternehmens, das dieses durch Investition erzielt (in Form des Aktienkurses). Er übernimmt auch ein Risiko: geht das Unternehmen den Bach runter, dann ist das in die Aktie investierte Geld futsch.

Auch der Handel mit Aktienoptionen ist mir noch klar, Profi-Investoren benutzen diese Instrumente, um sich gegen Kursschwankungen abzusichern. Und der Spekulant nutzt sie, um aus Kursschwankungen Profit zu schlagen, und da bekomme ich ein ungutes Gefühl. Aber immerhin riskiert hier auch jemand, sein Geld zu verlieren, und die Übernahme von Risiken kann man ohne weiteres als Leistung (die zu entlohnen ist) ansehen. Jedenfalls in der Regel.

Aber an der Stelle wird auch klar, dass damit die Börse immer mehr zu reinen Spielbank verkommt Statt auf rot oder Manque setzt man halt auf S&P minis, bluechips oder outperformer. Alles immer ganz wissenschaftlich mit Charttechnik, Kurs-Gewinn-Analysen, Fundamentaldaten und so weiter. Dank Börse im Ersten kennt das heute ja jeder - und jeder weiss dadurch auch, dass es da totaaaaal seriös zugeht, an der Börse.

Aber tatsächlich hat auch das alles wieder nur mit Vertrauen zu tun: dem Vertrauen, dass alle anderen Börsenteilnehmer dem Gewinn genauso hinterherjagen wie man selber und daher die Kurse nur steigen können.

Heute wurde bei heise wieder vom bevorstehenden Börsengang von Facebook berichtet. Das Unternehmen soll demnach 100 Milliarden Dollar wert sein. Nimmt man andere Zahlen, z.B. die 70 Milliarden, für die die Anteile heute gehandelt werden, dann wären das 50 Milliarden Euro. Facebook hat also in der kurzen Zeit seiner Existenz so viel Leistung erbracht wie eine typische deutsche Krankenschwester in 2,5 Millionen Jahren - oder zehn Formel-1-Rennfahrer in 1000 Jahren.

Boah! Das ist doch mal eine Leistung, die Fettdruck wert ist. Oder etwa nicht?

Die Leistung der Finanzjongleure liegt für mich eigentlich nur darin, das Geld von denen fernzuhalten, die tatsächlich Leistung erbringen. Bei einer Lotterie passiert im Grunde das Gleiche: einer (der Gewinner) bekommt viel Geld - völlig ohne dass er eine Leistung erbracht hätte oder ein grosses Risiko geschultert hat. Dafür müssen viele andere Geld verlieren, für das sie Leistung erbracht hatten. Das ist fair, weil zum einen niemand gezwungen wird, Lotto zu spielen und zum anderen jeder vorher genau weiss, dass er das Verlustrisiko eingeht, wenn er den Tippschein abgibt. Und es destabilisiert nicht das Geld (also das Vertrauen in die Kaufkraft), weil für das vom Lotto umverteilte Geld immer Leistungen erbracht wurden: Lotto ist das Glücksspiel der Arbeiter. An der Börse teilzunehmen als derjenige, der verliert, hat aber ein Arbeiter oder Angestellter in Deutschland praktisch keine Wahl. Denn das Geld, das da verzockt wird, sind allzu oft Steuergelder. Und die Forderung nach Lohnzurückhaltung wird ja schon zur Gebehtsmühle; in der Tat ist für Lohnerhöhungen seit Jahrzenten kaum Geld da, das wird zum Zocken an den Finanzmärkten z.B. für den nächsten Merger gebraucht.

Das Vertrauen, das in unser Geld in diesem Jahrhundert massiv verloren gegangen ist, hat aber vor allem eine Gruppe von Personen erschüttert. Es sind diejenigen, die den Wert des Geldes massenhaft und geradezu systematisch untergraben haben, indem sie Geld, das nicht durch eine erbrachte Leistung gedeckt war, hergestellt haben. Tut jemand das, in dem er Falsifikate von Banknoten herstellt, dann wird er schwer bestraft. Das geschieht auch mit dem Ziel, das Vertrauen in das Geld aufrecht zu erhalten. Tut es aber jemand, indem er einen faulen Kredit mit 999 weiteren voraussichtlich nicht mehr realisierbaren Forderungen zusammenpackt und danach in 10000 Stücken als CDOs oder sonstwas weiterverkauft, dann ...

... ja dann wird so ein Gangster nicht bestraft sondern der Gewinn, den er erzielt, wird sogar noch als Teil des Bruttosozialproduktes ausgewiesen - also als Leistung gewertet. Die Politik ist dann nicht selten stolz darauf, wieviel mehr der Finanzsektor zum BSP beiträgt und wie wertvoll dieses Wachstum ist. Aber wie viel dieser Gewinne aus in-sich-Geschäften bestehen, bei denen dasselbe Produkt nur ein Mal im Kreis die Hände wechselt und dabei magisch an Wert gewinnt und wieviel davon echte Leistung ist, das wird nicht untersucht.

Denn diese Frage stellt sich bekanntlich nicht. Wer Geld hat kann schon dadurch beweisen, dass er das Geld zu Recht hat. Wer keins hat, der ist selber schuld - und auch noch schuld an der Misere anderer, denen Verluste drohen. So lehrt es uns dieser Tage wie seit 2008 der mediale Mainstream unisono mit der Politik.

Jener Politik, die das Vertrauen genau jeder Personen, die systematisch das Vertrauen in Geldwert verspielt, verzockt und vernichtet haben, zurückkaufen will. Mit wessen Geld wohl?


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Politik