Update: Wir lesen jetzt bei Tagesschau oder heise dass das GCHQ wohl tatsächlich das TAT-14 angezapft und den dortigen Verkehr überwacht hat.

Extrem spannend ist das, was Wolfgang Bosbach dazu zu sagen hat: Die Tagesschau zitiert ihn mit „offenkundige Totalausspähung“ und bezeichnet das als „wettern gegen“.

Jetzt die Fakten: das GCHQ hat – unerhört!!einself!! – bis zu 30 Tage lang die bösen bösen Metadaten aufgehoben.

Also kurz: der britische Geheimdienst hat Verbindungsdaten abgegriffen und nicht länger als 30 Tage aufgehoben. Das ist „offenkundige Totalausspähung“.

Ich finde es schön, so mitansehen zu können, wie ein Wolfgang Bosbach dazulernt.

Denn noch im Dezember 2011 hat er seiner Kabinettskollegin heftig Zunder gegeben, weil diese sich weigerte, eine Speicherung genau dieser Daten für mindestens 6 Monate umzusetzen. Und zwar nicht nur für ein kleines Seekabel sondern flächendeckend für alle Telekommunikation.

Herr Bosbach: Sie haben absolut recht! Das wäre die offenkundige Totalausspähung und absolut nicht hinnehmbar. Willkommen bei den Piraten!

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Grosse Aufregung. Auf allen Kanälen und volle Möhre.

Und zu Recht! Denn was jetzt grad hochkocht, das ist wirklich eine Riesensauerei und offenbart ein echtes Problem.

Grosse Aufregung, völlig zu Recht. Und zu spät.

Denn die Aufregung hätte schon vor Jahren ihre Zeit gehabt. Wenn ich Kommentare von Journalisten lese wie hier http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/kommentar-zu-tempora-ein-skandal-von-historischem-ausmass-a-907397.html dann frage ich mich verschiedenes.

Zunächst: glaubt der Typ wirklich, dass die Briten da den kompletten Transatlantik-Datenverkehr aufgezeichnet haben? Echt jetzt?

Die Mengen sind ziemlich happig. Mal kurz zusammengerechnet: Ein Gigabit/s (eins mal zehn-hoch-neun) ergibt 1E9 Bit/s : 8bit/Byte * 86400 s/d = 10,8 TByte je Tag. Das ist machbar, das kann man so aufzeichnen. Auch bei tatsächlichen Kapazitäten von realen Festplatten.

Allerdings braucht man dafür eine Bank von recht vielen Festplatten, denn eine einzelne kann nur ca. 200 bis 300 MBit/s aufzeichnen. Man braucht also ca. 3 Platten je Gigabit. Das wären also zum Full-Recording von TAT-14 [http://de.wikipedia.org/wiki/TAT-14] nur knapp 2000 Festplatten. Bei 10W pro Platte auch nur ein handhabbarer Kühlbedarf von 20 kW.

Alles machbar. Achja: an das TAT-1 Kabel wären unsere britischen Freunde wohl sogar ohne deutsche Hilfe drangekommen, das Ende liegt zwar hierzulande in Ostfriesland, es geht aber auch über die Shetland-Inseln und könnte ggf. dort angezapft werden.

Aus diesen Überlegungen und meiner Erfahrung mit Netzbetrieb schliesse ich: die haben eben nicht „alles aufgezeichnet“. Sie haben sich nur in die Lage versetzt, alles mitlesen zu können.

Ganz und gar neu ist die Idee nicht. Das amerikanische FBI hat schon in 1997 ein entsprechendes Programm gestartet mit Namen Carnivore. Auch hier war die Grundidee, allen Datenverkehr nach bestimmten Reizworten zu durchleuchten und ggf. aufzuzeichnen.

TEMPORA macht nach meiner Einschätzung nichts anderes. Vermutlich heute etwas ausgefeilter und die Geheimdienste werden das Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihren Lauschangriffen und dem Ausweichen ihrer Zielpersonen auch mittels Technik zu gewinnen versuchen.

Wo ist also der Skandal? Jedenfalls nicht da, wo ihn der Spiegel-Kommentator sieht, denn die Orwellianische Totalüberwachung, die er da unterstellt, gibt es imho schon technisch nicht.

Der Skandal ist, dass die Politik das offenbar mitmacht. Dass die Politik derartige geheime Machtmittel – geheim + Macht ist ja quasi die Grundformel für Missbrauch – erlaubt, ist der Skandal. Der jetzt im Geschrei unterzugehen droht.

Wie gesagt: ich glaube bis zum Gegenbeweis nicht, dass wirklich „alles aufgezeichnet“ wurde. Aber ich weiss, dass entsetzlich viel aufgezeichnet werden soll. Vorratsdatenspeicherung nennt sich das.

Wenn die EVP-Fraktion im Europaparlament sich jetzt so empört, dann ist das bigott bis an die Schmerzgrenze. Oder ist aus der Ecke jemals ein wenig Protest gegen die EU-verordnete Totalüberwachung zu hören gewesen?

Schlimmer noch als bei der Vorratsdatenspeicherung wird der Mindset der herrschenden Politik an einem anderen Beispiel deutlich. Die EU finanziert nicht nur Projekte wie OptiAlert oder Alert4All sondern eben auch INDECT.

Bei Alert4All und auch bei OptiAlert habe ich den Eindruck, dass das gute Ideen sind und dass da wirklich Erkenntnisse herauskommen, die man brauchen kann. Ich schreibe das nicht nur, weil ich an OptiAlert selber ein klein wenig mitforsche :-).

Bei INDECT war ich zunächst recht entspannt. Denn bei dem Projekt wird genau das rauskommen, was bei KI-Projekten (speziell EU-finanzierten) immer rauskommt: nix. Verbmobil ist so ein Klassiker.

Wie gesagt: ich war entspannt, Vergangenheitsform. Denn der Skandal, dass mindestens ein Politiker eine Forschung wie IDECT abgenickt hat, ist ein Problem.

Angesichts der Beispiele aus der Vergangenheit – Carnivore ist Jahrzehnte, die VDS und INDECT sind viele Jahre alt – kommt die aktuelle Aufregung doch reichlich spät. Hat da der Qualitätsjournalismus gepennt oder einfach damals nicht verstanden, was grad abläuft?

Wenigstens haben die Piraten die Themen der Zeit schon länger erkannt. Und machen auch schon länger.


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Politik