#bpt10.2¶
Es ist mal wieder Parteitag und nicht ganz alle gehen hin.
Es dürfen alle Piraten teilnehmen - Delegierten-Indirektion lehnt die Partei ab - aber von rund 12.000 Mitgliedern sind rund 540 da.
Immer noch ne Menge und viele Leute auf einem Haufen gibt irgendwie immer Zoff.
Die dpa hat vor allem den Zoff zu Anfang mitbekommen - ein klassischer Streithansel schlug über die Stränge, bekam einen slap-on-the-wrist, den er wohl verstanden hat und damit war gut - und hat mit dem Vorsitzenden gesprochen, dabei kommt dann sowas raus.
Dabei war der Zoff der ersten Stunden wohl nur die notwendige Reinigung der Hirnwindungen. Man kennt das ja vom Verdauungssystem: Rhizinus hat da eine sehr reinigende Wirkung.
Auf dem überschaubaren Nebenkriegsschauplatz „Versammlungsleitung“ konnten sich alle einmal schön auskotzen und danach einen produktiven Parteitag anleiern.
Am zweiten Tag wird es insgesamt etwas durchwachsener - es sind wohl einige etwas verkatert.
Der Kater hat zwei Gründe: Ethanol und #bge.
Oder eben der Nicht-BGE-Beschluss nach der BGE-Diskussion.
Das Problem verdeutlich das Gedankenexperiment:
Nimm einen Raum mit 20 politisch interessierten Insassen.
Tür auf, Kopf reinstrecken, „BGE“ sagen und sofort Kopf raus, Tür zu.
Damit haben wir gerade 35 verschiedene Vorstellungen erzeugt, was wir gerade gesagt haben.
Jeder der 20 hat eine andere Vorstellung davon, was mit „BGE“ oder „bedingungslosem Grundeinkommen“ gemeint ist.
Dazu kommen die Vorstellungen, welche Vorstellung der Sprecher in o.a. Experiment für ein BGE hält (erste Reflexionsstufe, ca. 10) und welche Intentionen er mit BGE verbindet (zweite Reflexionsstufe, ca. 5), also zusammen 35 Vorstellungen.
Dazu kommen vermutlich 20 verschiedene Unterstellungen über die Intentionen des Sprechers und aller anderen im Raum.
Genau diesen Zoo erlebten wir gestern und heute beim #BPT10.2.
Die „BGE-Gegner“ sind mMn überwiegend auch überzeugt, dass unser Sozialsystem - das im engeren Sinne das Sozialgesetzbuch 2 umfasst, im weiteren Sinne aber auch Mittel wie verbindliche Rentenversicherung, Kindergeld, Steuerfreibeträge und wenn man es ganz weit fasst auch die Krankenversicherung - nicht nur einer Renovierung bedarf sondern im Prinzip ein Fall für Abriss und Neubau ist.
Oder etwas fast so radikales: jedenfalls muss da eine Menge passieren, denn so, wie es läuft, geht es eben gaaa nich.
Wie das Ding dann heisst, ist an sich egal.
Man kann es „fundamentale Restrukturierung staatlicher Transfer- und Sicherungssysteme zur Förderung von Chanchengleichheit und Festigung sozialer Sicherhheit“ nennen.
Oder man kann ein griffiges Label draufkleben, z.B. „BGE“.
Für meine Begriffe haben die Piraten mit dem BGE-Beschluss-oder-auch-nicht verschiedene Dinge getan - und alles richtig gemacht
- es wurde diskutiert. Nicht von irgendwo diktiert, diskutiert
- die Diskussion war konstruktiv, leidenschaftlich aber nicht aggressiv gegen Personen: gute Diskurskultur
- die Piraten haben sich dazu bekannt, soziale Wesen zu sein, nicht ein asoziales Pack.
Die genaue Ausgestaltung muss jetzt erarbeitet werden - und das wird ein langer Marsch. Denn dabei kommt es dann darauf an, nicht nur eine Vision zu haben sondern einen Weg dahin zu finden.
Und dabei ist auch Scheitern noch möglich: in den letzten Jahren ist jede Gesundheitsreform zum Papiertiger zusammengefaltet worden, auch sonst traut sich die etablierte Politik - vermutlich aus gutem Grund (!) - nur winzige Veränderungen zu.
Und nicht jede Expedition, die auf den Everest oder K2 wollte, hat es geschafft.
Aber ich würde lieber mit Mann und Maus untergehen, vernichtet werden in einem Kampf um eine bessere Gesellschaft und die Rettung der Demokratie vor den Neo-Feudalisten als den Kampf nicht aufzunehmen, weil
- „das Esoteriker anziehen könnte“
- „das misverstanden werden könnte“
- „das irgendwie schwierig ist“.
Und vor allem gilt das „Argument“ nicht, dass wir das noch nicht bis ins allerkleinste durchdekliniert haben.
Im Grundsatzprogramm dürfen Visionen stehen. Sogar Utopien.
Unausgegorenes Zeug, Phantasien dürfen auftreten, solange die Dosis stimmt - und die Richtung.
Oh Mann, der Abschied von den Piraten wird mir grad wieder schwer gemacht.
Grummel.