Immer immer wieder

Bringt mein hochgeschätzter Lieferant von Neuigkeiten heise solchen Unfug. Leute! Ihr seid Journalisten! Hinterfragt doch mal solche Pressemitteilungen!

Was ist passiert? Nun, die „Business Software Alliance“ - so nennt sich der Verein - hat mal wieder eine Gans schlachten lassen und in deren Eingeweiden Zahlen gelesen. Auf heise lesen wir das hier nach.

Aha! Milliarden! Ganz unten im Artikel steht dann, wie diese Zahlen ermittelt werden.

IDC ermittelt, wie viele Computer in einem Land verkauft wurden und rechnet dann den geschätzten Wert an potenziell nötiger Software hoch. steht da zu lesen. Für mich klingt das genauso zuverlässig und wissenschaftlich wie das lesen in den Eingeweiden des Opfertiers. Was übrigens eine Methode mit grosser Tradition ist, und was für die alten Römer gut genug war kann ja heute nicht schlecht sein.

Hat eigentlich schon einmal jemand die Methode, mit der diese Berechnungen angestellt werden, hinterfragt? Wäre es denkbar, dass da für jeden verkauften PC einfach eine Windows-Lizenz als „benötigte Software“ angesetzt wird?

Und wie werden aus Lizenzen dann Summen in €uro? Die Staatsanwaltschaft in Berlin verwendet da eine Kombination von Pauschalisierungen und Recherche. Computerspiele werden grundsätzlich mit 50 Euro angesetzt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um ein brandaktuelles Spiel der Top-10-Verkaufscharts mit einem Ladenpreis von 70 Euro handelt oder um einen älteren Titel, der als „Gold Edition“ für nen Zehner in der Schütte im Elektronik- oder gar Supermarkt liegt. In der Regel verschwinden aktuelle Titel nach ca. 2 bis 3 Monaten aus dem Verkauf und kehren dann ca. 6 Monate später als „Gold Edition“ zurück im Billigsegment. Zumindest damals, als Student hase seine Samstage noch mit Jobben in der Computerabteilung von Schauland rumbrachte, war das so. Die nächste Neuauflage kommt dann gern, wenn das Nachfolgespiel erscheint: im Kielwasser der Werbung für Monster-Zombi-Metzel-III verkauft sich MZM-II gerne fast noch einmal so gut wie zum Erscheinungszeitpunkt.

Bei Nicht-Spielen dagegen nimmt der Staatsanwalt den Katalog zur Hand. „Business“-Software wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsprogramme (die Gänseblümchen beim „Business“ müssen im Umgang mit solcher Software des täglichen Bedarfs werden heute schon Kinder in der Grundschule unterwiesen) wird in der Kategorie „wirtschaftlicher Schaden durch die Tat“ dann der Listen-Mond-Preis des Herstellers eingesetzt. Also jener Preis, den noch nie irgendwer bezahlt hat. Im Jahre 1993 berichtet die c‘t darüber (Artikel kann kostenpflichtig hier bezogen werden) und die Werbeaussagen, die den 2000-DM-Computer mit „Software im Wert von 3500 DM im Preis enthalten“ anpriesen, waren Wettbewerbshütern (auch selbsternannten) damals schon ein Dorn im Auge. Aber heute stört das offenbar keine Sau mehr, wenn die BSA sich Zahlen zusammenphantasiert oder Staatsanwälte mit derlei Augenwischerei die Schwere der Tat hochdröselt auf dass das eigene Tun gewichtiger erscheine, der Richter die Bagatelle nicht als solche erkennen möge und die Statistik wieder einen beförderungsförderlich mit Verurteilung abgeschlossenen Fall aufweise.

Ich für meinen Teil bleibe dabei: das Urheberrecht muss reformiert, ja völlig neu aufgestellt werden, soll es seinen (ursprünglichen und heute vorgeblichen) Zweck in der Zukunft erfüllen: einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Schaffenden (Künstler zum Beispiel) und der Konsumierenden (ich zum Beispiel) herstellen. Ein Leistungsschutzrecht, mit dem ein Sender oder Verlag die Schaffenden enteignet und Konsumenten kriminalisiert, passt da nicht rein. Ein Schutz von als Kopierschutz getarnten Anseh-Verhinderungsmechanismen wie CSS („Dieser Roman darf nur im Licht einer Glühlampe von Blafasel gelesen werden. Lesen im Lichte anderer Lichtquellen ist nicht lizensiert und daher strafbar“ ist dann die nächste Stufe nach HDCP?) gehört da auch nicht hinein.

Die Erosion des Urheberrechtes ist gut zu beobachten am Thema des Erschöpfungsgrundsatzes. Dieser besagt zusammengefasst: hat ein Rechteinhaber (z.B. Autor) einmal ein Exemplar seines Werkes hergestellt und dann verkauft, dann darf er keine Einschränkungen mehr machen, was damit geschieht. Der Käufer darf es insbesondere jederzeit weiterverkaufen. Aber das gefällt z.B. Oracle gar nicht (wie man am Fall usedSoft ./. Oracle beobachten kann, der inzwischen den EU-GH erreicht hat) und muss daher weg. Klarer Fall. ich könnte mir vorstellen, dass die Microsoft-Juristen diesen Fall sehr genau beobachten.

Ein echtes Problem am Urheberrecht ist, dass es inzwischen überfrachtet ist. Diese Tatsache wird gerne verwechselt mit nicht-Adäquanz für das Internet-Zeitalter (und hat damit zu tun), aber die Altlast, dass vor allem Verlage geschützt werden, ist nicht das Hauptproblem.

Ein Kernproblem sehe ich immer noch darin, dass inzwischen Dinge unter das Urheberrecht gestellt werden, die da genau gar nichts zu suchen haben. Das Wort „Dinge“ benötigt eine Erläuterung: nicht der Ding- oder Sachbegriff der Juristen ist hier gemeint, denn der erfordert immer, was die Physik einen Körper nennt, etwas stoffliches. Gemeint ist ein Konstrukt, das der menschliches Geist geformt hat, auch wenn es immateriell ist.

Ein Werk im Sinne des Urheberrechtes ist im Prinzip Form. Sonst nichts. Werke benötigen eine Verkörperung (durch ein Exemplar oder mehrere), zumindest wenn man sie weitergeben, wenn man Wahrnehmung bei anderen Menschen als dem Autor erzeugen will. Ein Werk ist reine Form, ohne jede Funktion. Deutlich macht das die Frage „wie kann man feststellen, ob Beethovens achte Symphonie korrekt funktioniert?“ Die Frage ist völlig sinnlos: dieses Meisterwerk hat Form aber keine Funktion. Die Frage ist genauso sinnlos wie die nach der Feuchte eines Lichtstrahles oder nach der Tiefe eines Hyperlinks. Viele Werke verbinden Form und Funktion, bei der Architektur und beim Produktdesign erwarte ich das übrigens sogar. Bei diesen Mischungen von Form und Funktion schützt das Urheberrecht nur die Form. Die Funktion kann man übrigens (unter gewissen Voraussetzungen) auch schützen lassen: Gebrauchsmuster und Patente sind genau dafür geschaffen.

Betrachten wir ein Computerprogramm wie VisiCalc, MultiPlan, WordStar oder dBase (ich wähle mit Absicht Beispiele für den Apple ][ und CP/M), dann stellen wir fest, dass diese ebenso rein sind wie Beethovens Meisterwerke. Aber eben nicht reine Form sondern reine Funktion und weitgehend formlos. Sie sind ähnlich formlos wie ein Schluck Wasser: alles, was an Form wahrnehmbar ist, ist angepasst an die physischen/technischen Bedingungen, die ihre Umgebung (das Computersystem) diktiert. Die Kegelstumpf-Form eines Schluckes Wasser ist eben einfach die Innenform des Glases, das ihn festhält.

Computerprogramme gehören daher raus aus dem Urheberrecht und - so wie andere technische Konstrukte, z.B. Leiterplatten - entweder in ein eigenes (sui generis) Schutzrecht oder unter allgemeine Schutzrechte. Für die Computerspiele - klare Mischwerke mit Form- und Funktionsaspekten - wäre dann der Formenanteil urheberrechtlich, der Rest (die „Engine“ und ggf. Protokolle) als Computerprogramm zu schützen. So würde ein Schuh daraus.

Inzwischen frage ich mich daher gelegentlich, ob die rasche Erweiterung des Programms der Piratenpartei über die alten Themen hinaus, wirklich der beste Weg war, die Partei als fünfte in Deutschlands Parteienlandschaft zu etablieren. Vielleicht hätten wir uns konzentrieren sollen auf Themen, bei denen wir grossen Vorsprung haben und daher leichter Reputation aufbauen können.

Wir haben den etwas schwereren Weg in Chemnitz gewählt. Was mich aber nicht in ein „Augen zu und durch“ Gefühl versetzt. Denn tatsächlich sind die Fragen des Urheberrechts echte Luxusprobleme wenn es um die Existenz geht. Und daher ist die Sicherung der Existenz der Europäer erst einmal vordringlich: unsere (nicht ganz direkten) Nachbarn in Griechenland und Portugal haben aktuell mächtig zu kämpfen und Deutschland wir hier mMn beistehen müssen. Und in der unmittelbaren Umgebung sehen wir, wie es mit der Ehrlichkeit in der Politik bestellt ist am Beispiel des ehemaligen Wirtschafts- und Verteidigungsministers.

Also sehe ich die vordringliche Aufgabe in

  • der Sicherung der sozialen Kohärenz Deutschlands und Europas
  • der Wiederbelebung der essentiellen Grundwerte in der Politik
  • der Verteidigung der individuellen Freiheit gegen Angriffe.

Und zwar aller Angriffe, egal ob sie von der für-jeden-Schs-muss-ne-Vorschrift-da-sein-Fraktion sogenannter Konservativer, alle-müssen-gleich-gemacht-werden-Fraktion sogenannter Linker oder den ich-bin-komplett-hirntot-Typen*, die gerade deshalb alle angreifen müssen, die anders denken oder aussehen.

Wieso die jeder-gegen-jeden-bringt-für-alle-die-goldene-Zukunft-Fraktion da nicht auftaucht? Nun, der Zusammenbruch des Finanz- und in der Folge des Wirtschaftssystems in Europa, den wir in den nächsten 3 Jahren erleben werden, sollte die neoliberalen zumindest schwächen - und am Boden liegende muss man nicht mehr treten (sonst wäre man ja auch nicht besser als die Neonazis).

Am Wochenende ist Weichenstellung bei der Piratenpartei angesagt. Bin ja schon sehr gespannt.


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Politik