Heidenheim

Kleinigkeiten

...machen immer wieder grosse Unterschiede

An sich hassen wir Ingenieure ja nichtlineare Systeme mit vielen freien Variablen. Speziell die schwach kausale Variante. Mathematiker und Physiker finden die immer mal wieder ganz spannend und „interessant“ und können sich mit leuchtenden Augen über die „ungewöhnlichen überraschenden Eigenschaften“ freuen.

Bäh. Wenn Du als Ingenieur mit so Kroppzeuch zu tun hast, dann lernst Du es hassen. Denn dann ist es Deine Aufgabe, solchen Systemen die überraschenden Eigenschaften auszutreiben - und das geht eben nicht. Aber alle erwarten es von Dir.

So gesehen kann ich ja immer wieder Solidarität mit Softwareentwicklern empfinden: ein Computer ist ein hochgradig nichtlineares System (es gibt keine linearen Übergänge zwischen Zuständen, nur sprunghafte; ein Bit is Null oder Eens aber nix dazwischen) mit vielen freien Variablen. Millionnen. Milliarden. Und schwach kausal ist ein Computer im Grunde auch. „Schwach kausal“ ist Physikerdeutsch für „es gelten nicht einmal je->desto Beziehungen, also „je doller du uff den Daumen kloppst, desto mehr tuts weh“. Statt dessen gilt bei Computers: wenn nur ein Bit kippt dann kann das Verhalten sich komplett verändern - also z.B. statt dieses wundervollen Textes ein Bluescreen erscheinen. Solche Systeme sind im Grunde technisch nicht beherrschbar und es grenzt an ein Wunder, dass Computer überhaupt irgendwie funktionieren. Was aber keine Entschuldigung sein kann für die grottige Qualität von einigen Softwareprodukten, die man so ertragen muss, wenn der Admin in der Firma eben nix anständiges gelernt hat aber dafür ein MCSE-Zertifikat an der Wand hängen hat.

In schwach kausalen Systemen machen kleine Unterschiede immer mal wieder Riesenwellen. Bei nichtlinearen Systemen kann man das Verhalten kaum vorausberechnen, vor allem wenn es von Variablen wimmelt. Also, jedenfalls nicht als einfacher Ingenieur, andere Leute versuchen sich daran.

Selbst bei stark kausalen Systemen machen kleine Unterschiede viel aus. So liegt die Grenze der Haftreibung, die vulkanisiertes Gummi mit Asphalt vermitteln kann, eigentlich sehr hoch. Selbst im ersten Gang kriege ich das Hinterrad meiner K kaum zum Durchdrehen. Also, auf trockenem Asphalt. Bei der Nässe da draussen sieht das schon ganz anders aus, da will man nur zügig von der Ampel wech und dann dreht plötzlich der Motor hoch in den Drehzahlbegrenzer, es geht aber nicht voran sondern zur Seite. Brummel. Doofes Gefühl, allerdings immer noch besser als mit abgeschaltetem ABS (Scheiss Sensoren, kann man die nicht dauerhaft wasserdicht bauen?) auf Rollsplit bremsen müssen. So muss sich das anfühlen, wenn man auf Kugellagerkugeln zu fahren versucht.

Jedenfalls machen so Kleinigkeiten wir ein paar Milliliter Wasser offenbar einen Riesenunterschied.

Menschen sind für uns Ingenieure daher komplett unfassbar. Eine Partei voller Nerds und Geeks ist daher an sich zum Scheitern komplett verurteilt, denn viele junge Menschen werden ja zum Geek, weil sie mit Menschen nicht recht klarkommen und daher in die wunderbar überschaubare, beherrschbare, vorhersagbare Technik flüchten.

Jungs, Mädels, die Ihr Euch in dem Satz grad wiedererkannt habt: das ist Das Dümmste, was Ihr tun könnt. Lasst es Euch von einem alten Sack und Geek gesagt sein!

Nun gut, immer noch besser als die Flucht, die eine andere Sorte antritt, nämlich die, die keinerlei Wert besitzen, nichts in sich tragen und dazu auch nicht mit Menschen klarkommen. Die flüchten sich gern in Regelwerke, an die sie sich klammern können. Die besonders nervig-anstrengende Sorte der Beamten, also die, die nicht ihr Hirn an der Garderobe abgeben, weil sie nie eins hatten, ist von der Art, aber auch an anderer Stelle trifft man auf auf solche Hohlkörper ohne Hirn und Selbstwert. Interessanterweise relativ selten bei den Armeen, wo man vermuten könnte, dass solche Typen genau reinpassen. Vernünftigerweise drückt man aber solchen - und ich benutze das Wort in der weit gefassten Bedeutung - Menschen keine Waffen in die Hand, denn Leere von Wert kombiniert mit Leere von Selbstwert ist idR. auch von Leere von Moral begleitet (und auch die wird dann gern mit sklavischem Festklammern an irgendwelchen Regelwerken zu kompensieren versucht - bis es eben knallt).

In der Politik haben solche Figuren genau gar nichts verloren. Menschen mit Charakter, mit Profil, mit Ecken und Kanten gehören da hin. Ja, doch. Die machen Fehler, die sind anstrengend, die sind nicht nur nicht immer einfach, die sind immer nicht einfach.

Insofern ist es einerseits schade, dass Christopher heute nicht zum Vorsitzenden gewählt wurde. Es gibt kaum einen Berliner Piraten, mit dem ich mehr über Kreuz liege, das ist wohl wahr. Aber dennoch respektiere und bewundere ich Christopher für seine unzweifelhaften Fähigkeiten.

Andererseits könnte man auch glauben, dass die Piraten hier genau die richtige Entscheidung getroffen haben: wir haben einen verwaltenden Vorstand, keinen politischen. Die Nummer „ihm fehlt Demut vor der Macht“ einer Frau Merkel kommt für uns nicht in die Tüte, Schrödersche Machtworte sehe ich auch nicht als angemessen für eine basisdemokratisch angelegte Partei. Und ob Christopher Lauer der richtige Verwaltungschef wäre? Ich weiss es nicht, kann es nicht vorherberechnen und jetzt hat er auch keine Gelegenheit, Messwerte zu liefern.

Allerdings glaube ich ja eher nicht, dass die Piraten heute aus Weisheit oder Schwarmintelligenz gehandelt haben. Sie haben einfach nur gezeigt, dass bei den Piraten das Gnadenlos-Prinzip voll gilt: gnadenlos niedermachen geht immer.

Ich kann nur sagen: das geht gaaa nich!

Wenn die Piraten nicht über diese Vorstellungen von Politik hinauswachsen können, als da wären

  • politics is showbiz for ugly performers
  • Macht ist der einzige Zweck und jede Anwendung gerechtfertigt
  • right was who got to write the history book
  • elections is another word for popularity contest

dann wird das nix.

Deutschland braucht eine Partei, die auf dem konservativen Menschenbild (etwa „der Mensch ist so; das ist ok so, muss man nicht dran drehen, ihn nur frei machen und lernen lassen“), klassischen konservativen Grundwerten wie Anstand, Respekt, Ehrlichkeit und auch Demut bereit ist, die Zukunft aktiv so zu gestalten, das ein Miteinander (statt neo-liberalen Gegeneinanders) und individuelle Freiheit statt dieses völlig abartigen „jeder muss immer zu allem gezwungen werden“, das aus der CDU-Politik spricht und das - will man es auf die Spitze treiben - auch an Artikel 1 GG kratzt. Aber das GG hat die sogenannten Konservativen in den letzten paar Jahrzehnten nicht wirklich interessiert.

Jedenfalls halte ich es für ein blödes Gerücht, dass eine Partei nicht konservativ und progressiv sein kann; ich denke, die Piraten könnten beweisen, dass es sogar sehr gut geht. Wenn sie denn wollen, wenn sie eben nicht einfach nur ein wenig rumspielen, sich wichtig vorkommen, sich selbst wichtig nehmen wollen. Sondern statt dessen so weit wachsen können, dass sie wichtig sind.


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Politik