Das kann ja heiter werden.

Die Piraten sind ja "die IT-Partei". Dieses Klischee hält sich hartnäckig. Und stimmt nicht.
Also, es war sicher mal richtig: die Leute, die in 2003 die Piraten als Partei gegründet haben, waren sicher mehrzählig Leute, die beruflich oder aus Spass am Gerät sich mit IT befassten.
Und die frustriert waren darüber, dass dieses eminent wichtige Feld, das die Zukunft unserer Gesellschaft massiv prägen wird und prägt, von der Politik wenn überhaupt dann nur halbherzig und komplett falsch behandelt wurde.

Aber spätestens mit der Zweiten Welle der Piraten hat sich das geändert.
Ich beschreibe die Entwicklung der Pirten als drei Wellen:

  1. Gründung 2006 bis Sommer/Europawahl 2009; Mitgliederstand August '09 ca. 2000.
  2. Europawahl 2009 bis September-2011: In September und Oktober 2009 traten 10.000 neue Mitglieder ein, Endstand ca. 12000. In der Folge befasste sich die Partei in 2010 nur "mit sich selber", denn diese 12.000 Leute mussten sich erstmal sortieren, kennenlernen, Aufgaben aufteilen etc.
  3. September '11 bis heute. Zwischen September und Dezember '11 sind weitere 20.000 neue Leute in die Piratenpartei eingetreten.

Böse Zungen sagen ja, dass wir jetzt in Phase 4 sind, der Konsolidierung auf dem Post-Frust-Niveau. Aktuell sind so 8000 Mitglieder noch dabei.

Jedenfalls sind spätestens seit der Phase 3, tatsächlich schon seit Phase 2 ganz, ganz, ganz viele Nicht-IT-Leute in der Partei.
Und die Eintrittswelle 3 hat seinerzeit auch die Altersstruktur massiv verändert: der Durschschnitt war zunächst eher jung, mit Welle-3 schmiegte sich die Verteilung eng an den Bevölkerungsdurchschnitt an.

Und auch überhaupt war und ist die Struktur der Mitgliederschaft bei den Piraten genau die einer typischen Volkspartei: von allem was dabei.
Insofern ist das gerächt, dass es sich um eine IT-Partei handelt, in der Tat ein solches.

Und die interne IT der IT-Partei hat nun auf dem Arbeitstreffen beschlossen, in der internen IT mal aufzuräumen.

Sowas ist ja immer mal gut, alte "organisch gewachsene" Strukturen mal auflösen und ersetzen, vorzugweise durch ein System das auch eines hat.
Gute Idee.

Hintergrund ist, dass der weltweit gröste Hoster für Echtzeit-Online-Textkollaboration eine entsetzlich veraltete Software einsetzt von deren Verwendung die Entwickler der Software dringend abraten.
Was in der Regel ein schlechtes Zeichen ist :-)
Und ja, in der Tat, die Piratenpartei Deutschland ist der weltweit grösste Hoster für dieses Tool.
Ich persönlich mag das ja nicht besonders.
Mochte es nicht seit dem Tag, da ich feststellen musste, dass mein mobil-Safari auf meinem iPad (erstes Modell) damit nicht zusammenwirken wollte, ich also gezwungen war, wieder einen Laptop rumzuschleppen...

Und wie das so ist wenn mal eine Organisation beschliesst, beim alten IT-Wuchs Hand anzulegen: man kommt schnell vom hundertsten ins Tausendste weil schnell klar wird, was eigentlich alles zu tun ist, wenn man wirklich was solides hinstellen will.

Daneben sind wir auch noch - im besten Sinne - Amateurtruppe.
Also nicht wie die "Amateur"-Tennisspieler bei Olympia sondern eben im klassischen Sinne: wir machen das ohne Bezahlung in unserer Freizeit.
Gibt es eigentlich noch viele andere Berufsgruppen, die in der Freizeit dasselbe tun wie im Job? Oder sind wir IT-Piraten damit alleine?
Oder ist das auch Egal? .-)

Jedenfalls sind wir einen grossen Schritt weiter: nach der Bestands- und Bedarfsanalyse steht nun auch ein Plan für den Umbau der Piraten-IT!
Und zwar einer, der auch umsetzbar erscheint mit der Truppe, die wir haben.

Das ist schon mal viel wert - warum dann der pessimistische Unterton in der Überschrift?

Und da kommen wir auf die Vorrede zurück, die den Durschnittslevel der IT-Kenntnisse bei den Piraten skizzierte.
Der Pirat an sich vergöttert die Tooldiskussion als solche - man führt also laaaange und leieieieidenschaftliche Debatten darüber, welches das allerallerbeste Tool überhaupt ist.
Und heraus kommt sein zehn Jahren gerne ein Konsens, dass Tool A für Zweck A wunderbar geeignet ist; dieser wird dann flugs mit dem Gesetz des Instruments (https://en.wikipedia.org/wiki/Law_of_the_instrument) verbunden ...

Nunja, im Ergebnis jedenfalls sind die Piraten eher - äh - konservativ, das ihre internen Arbeitsprozesse angeht: Neuerungen sind nicht so richtig gern gesehen.

Das überrascht externe Beobachter immer wieder aufs Neue: ausgerechnet die "technikverliebten" Piraten müssten doch jedes neue Stück IT sofort haben wollen?

Nein, eben nicht: grade die Piraten sind da eher vorsichtig, weil eben doch überdurchschnittlich viel IT-Kompetenz bei ihren Mitgliedern (im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt und besonders zu anderen Parteien) verfügbar ist: die Kenntnis um Risiken ist zu gross und die Kardinalregel "never touch a running system" gehört zum Selbstverständnis genau wie die Adams- und Pratchett-Referenzen und die Ablehnung nautischer Metaphern.

Kurz: man sieht lieber andere Leute mit den "digitalen" Experimenten auffe Fresse fallen als man das selber tun will.

Aber manchmal muss es eben sein

Doch akut sind wir an dem Punkt, dass wird ein heiss und innig geliebtes Tool, das für den einen Zweck, den es extrem gut erfüllt, eingerichtet wurde (und nun für andere Zwecke mit eingesetzt wird, für die es nicht oder wenig geeignet ist), weg muss.
Es ist einfach nicht mehr sinnvoll betreibbar, von Datenschutzansprüchen mal ganz abgesehen.

Und weil es eh sein muss sind wir heute überein gekommen, gleich ein paar Nägel mit Köpfen zu machen und mit sanftem Druck unsere --Schäfchen-- - äh - lieben Piraten zu neuen Workflows zu migrieren.

Ich bin ja gespannt, wie sehr es meine Aufgabe sein wird, die Zornesblitze abzuleiten, die von der Userschaft da gegen die IT-Mannschaft abgefeuert werden werden.
Ich bin jedenfalls bereit, weil ich eben die Entscheidung voll mit trage, zu der wir heute gekommen sind.

Genau verkünden mag ich jetzt nichts, jedenfalls nicht, bevor wir die neuen Systeme wirklich am Laufen haben, die uns in Zukunft dabei unterstützen sollen, unsere Parteiarbeit zu organisieren, durchzuführen und dokumentieren.
Und zwar in Übereinstimmung mit den politischen Grundsätzen * Transparenz * Datenschutz * Teilhabe.

Die Erfahrung zeigt uns, dass Transparenz und Datenschutz gelegentlich ein Spannungsfeld bilden, in dem es Abwägungen zu treffen gilt.
Und viele Fehler, die wir gemacht haben und die uns heute noch nachhängen, stehen im Zusammenhang mit diesem Problem. Leidvolle Erfahrungen halt.
Aber wie das mit den Fehlern so ist: die sind zum Lernen da.
Und das haben wir getan.

Die Teilhabe, oder mindestens die Möglichkeit dazu, fordert von uns in der IT, Werkzeuge anzubieten die auch niedrigschwellig nutzbar sind.
Was auch nicht immer einfach ist, wenn der Datenschutz gewahrt bleiben soll; ein schnodderiges "digital first, Bedenken second", wie es die FDP in einem Wahlkampf plakatierte, wollen wir nicht:
So nervig ein Bedenkenträgertum auch immer und immer wieder ist oder sein kann: Datenschutz ist uns wichtig. Punkt.

Jedenfalls beginnen wir jetzt mit dem Umbau der wie in solchen IT-Projekten üblich einem Radwechsel am fahrenden Fahrzeug nicht unähnlich ist.
Was übrigens nicht mal die Formel-1 macht, die halten für "neue Räder fassen" extra an.

Und wenn wir dann mal mit dem Umbau durch sein werden, und wenn die Tränen über den Verlust des Lieblingstools getrocknet sein werden, werden die Piraten in den Genuss einer IT-Landschaft kommen, die besser ist als alles, was eine beliebige andere Mannschaft auf die Beine stellen könnte. denn das Team, das wir aktuell haben, ist richtig gut und trägt die narben aus den Kämpfen der letzten zehn Jahre mit Stolz: diese leidvollen Erfahrungen erlauben uns heute, statt hipper Wegwerf-IT ein solides, tragfähiges System zu klöppeln.

Und daher wird das wohl auch gutgehen.


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