Bühnenaufbau

Organisation wie Person?

Der Sascha Lobo schreibt ja immer wieder interessantes. Und trifft immer auch wieder Nägel auf Köpfe; nicht schlecht der Mann, auch wenn doch immer mal wieder Unsinn darunter ist.

Bei seiner Beschreibung der Piraten als Partei im Burnout muss ich mich fragen, in welche Kategorie das gehört: Nagel->Kopf oder Unsinn.

Als Beschreibung passt das ganz gut, denn die Erschöpfung und der Frust und das Verrauchen des Idealismus sind an allen Orten zu spüren. Leider.

Aber kann eine Organisation mit einer Person verglichen werden? Können 30k Köpfe - oder auch nur 3000 oder nur 100 - zusammen so etwas wie eine Person ergeben? Kann also ein geistig-emotionaler Zustand einer Person wie „Burnout“ auch als Zustand einer Organisation festgestellt werden?

Als Metapher sicherlich schon. Ich sehe aber eine Reihe von Problemen damit. Denn wenn man psychologische Begrifflichkeiten auf Organisationen anwendet, dann verlockt das imho zur reihenweisen Anwendung solcher Analogien.

Wenn wir mal „Pubertät“ oder auch „pubertäres Verhalten“ hernehmen - kein klarer aber dennoch recht griffiger Begriff - und dann nach entsprechenden Analogien suchen, finden wir diese bei den Piraten schnell. Kennzeichen des pubertären Geistes ist dieses großartige Gefühl, alles zu können, alles zu wissen, ja alles besser zu wissen/können als die „Alten“.

Klingt irgendwie vertraut, wenn man sich den Tenor von Parteitagsreden und anderen Diskursen der Piraten ansieht, nicht wahr?

Der pubertäre Grössenwahn - jeder kennt ihn und nur die wenigsten erinnern sich korrekt daran, zu groß wohl die Scham :-) - hat in der Entwicklung eines Menschen eine wichtige Funktion. Er ist Triebfeder für das Unabhängig-Werden.

Jeder Mensch wird abhängig geboren: ein Baby ist auf Gedeih und Verderb auf (elterliche) Hilfe angewiesen. Abhängigkeit ist insofern natürlich und auch nicht vermeidbar. Als Gegengewicht hängt an der Macht, die den Eltern auf diese Weise zufällt, die elterliche Liebe. Aus dieser erwächst ja nicht selten ein Drang der bis zur Selbstaufopferung geht. Das Verhältnis zwischen Kind und Eltern ist natürlich weit komplexer, aber das Grundmuster von Abhängigkeit und Liebe ist ein wesentlicher Teil davon.

Die Abhängigkeit muss der Mensch überwinden, will er tatsächlich zum freien Menschen werden. Die Pubertät ist in meinen Augen der programmierte Bruch jenes Anteiles der Eltern-Kind-Beziehung, der eine Abhängigkeit herstellt. Man kennt das: die Teens werden aus Elternsicht „unerträglich“, man will die eigentlich nur noch rausschmeissen (Kappung des Liebe-Endes der Beziehung). Der Teen selber entwickelt den typischen pubertären Größenwahn, will alles selber, alles anders machen (Kappung des Abhängigkeitsendes der Beziehung).

Wo das alles gut geht, kommt am Ende eine familiäre, weiter von Liebe geprägte Beziehung zwischen Eltern und erwachsenem Nachwuchs heraus. Wo das schiefgeht, entstehen Verstrickung, Neurosen, kaputte Familien und so weiter.

So weit, so Freud, so bekannt.

(Einschub für Nerds und Geeks: „gut gehen“ und „schief gehen“ sind kein binäres Klassifizierungsschema sondern ein analoges: das ist ein gradueller Übergang zwischen den Enden der Skala. Think 32-Bit-Integer).

Aber funktionieren diese Kategorien auch in Bezug auf Organisationen, die aus Menschen bestehen?

Herr Lobo: ich verstehe, wie verlockend der Vergleich für sie ist und war und wie treffend die Beschreibung „Burnout“ zu passen scheint. Aber ich fürchte, dass daraus Fehlschlüsse gezogen werden werden (nicht nur können). Zwischen Nagel->Kopf und Unsinn haben Sie hier imho genau die Mitte getroffen :-)


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Politik