Software und Patente

Da ist der aktuelle Anlass, der mich aufrüttelt.
Ich muss endlich mal meine Gedanken zu Schutzrechten für Software und Technik ordnen und auf die Piraten loslassen.

Aber wagen wir mal einen Schnellschuss vorab.
Warnung: das Nachfolgende wird fast jeden Leser gegen den Strich bürsten, denn es ist provokant. Ist mir klar. Aber es ist notwendig.
Notwendig deshalb, weil ausserhalb-derKiste-Denken erforderlich ist.
Und nur Provokation, bei der nicht klar ist, was ernst und was als Überreiz gemeint ist, kann das m.E. erreichen.

Wenn wir bei heise lesen, dass das jüngste BGH-Urteil zu Patenten auf heftige Kritik stösst, dann finden wir auch einen sehr zutreffenden Kommentar von Benjamin Stöcker (Beisitzer im Vorstand der Piraten): das Urteil öffnet im Prinzip den Weg, alles zu patentieren.

Aber warum ist das Kritik am Urteil?
Es ist zunächst eine Feststellung und wenn wir uns überlegen, wie das Patentrecht ursprünglich gedacht war, dann ist diese Konsequenz immer erwünscht gewesen.
Insofern ist es richtig, dass jetzt endlich Software patentierbar wird!

Natürlich hat das Patentrecht seinen Anspruch - die Förderung von Innovation - niemals erfüllen können oder wirklich effizient erfüllt.
Das Patent von James Watt, der mit seiner entscheidenden Verbesserung an der Dampfmaschine gar zu ihrem „Erfinder“ aufstieg, ist ein klassisches Beispiel: solange Watt das Patent auf die Dampfmaschine hatte, war die Innovation gestoppt.
Zwar gab es - auch als Reaktion auf die Kosten, die aus dem Patent resultierten - excellente, hochinnovative Entwicklungen bei den Wärmekraftmaschinen, aber diese konnten sich gegen die etabliertere Technik (bisher?) nicht durchsetzen (auch aufgrund prinzipbedingter Schwächen, die der Stirling nuneinmal hat).

Patente erscheinen auch gerne mal absurd zu sein.
Wenn man den Zweck, den das Patentwesen haben soll (Innovationsförderung) zugrundelegt, sind Patente in der Tat absurd.
Patente hatten also immer den Zweck, die Innovation zu behindern, nicht zu fördern.
Und diesen Zweck erfüllen sie hervorragend.

Das kann absolut erwünscht sein.
Es ist eine Regulation des Marktes, die möglicherweise erforderlich ist.
Sehen wir uns ein Beispiel an.
Das Mac-Biotop war immer ein ziemlich innovationsfeindliches, geschlossenes System. Schon mi System 6 habe ich das erlebt und auch beim Programmieren meiner Diplomarbeit unter System 7.5 auf meiner damaligen Quadra.
Für diese Computer konnte nicht einfach irgendwer irgendeine Steckkarte entwickeln - das musste schon genau passen zu allen möglichen Anforderungen.
Im Ergebnis wurden wir Macianer dann damit belohnt, dass der Übergang von einem SCSI-Chip zur nächsten Generation nicht durch irgendeine Kopierschutzsoftware unmöglich wurde. Selbst den Prozessor konnte Apple wechseln: vorhandene 68k-Software lief auf dem PowerMac einfach weiter (beim Übergang von PowerPC auf x86-Prozessoren hat das nicht so gut geklappt, der Performance-Sprung war zu klein).

In der Tat macht das Apple zu einer Art Evil Empire, das Freiheitsgrade einschränkt. Als Developer konnte ich einiges nicht tun, was die Kollegen auf der Windows-Seite durften und machen konnten.
Vor allem konnte ich nicht unüberlegt undurchdachten Dreck raushauen und dann später irgendwie zurechpatchen; bei gewissen Kollegen war das der Normalmodus.

Könnte es sein, dass Patente in diese Kategorie fallen: Wildwuchs verhindern?
Und bitte vor dem lauten „Nein!“ erst einmal nachdenken - bzw. nachfühlen: wo kommt das Nein her? Ist das Urteil oder Vorurteil?

Zeit, mit den Provokationen anzufangen.

Software ist aktuell

  • geschützt nach Urheberrecht
  • aus dem Patentrecht ausgenommen.

Beides ist Quatsch.

Der Entstehungsprozess von Software ist derselbe wie für ein elektronisches Gerät.
Die technischen Konstrukte („Programme“) werden sogar „Maschine“ genannt, es ist dabei unerheblich, ob diese Maschinen virtuell oder real sind und ob eine Maschine eine andere als Grundlage benutzt.
Daher ist Software klar als technisches Konstrukt anzusehen.

Der Vergleich mit echten Werken macht es deutlich: der Autor eines Romans hat Freiheitsgrade bei der sprachlichen Gestaltung. Beim Sündenfall - der Einordnung von Software unter das Urheberrecht als Sprachwerk, also einem Roman analog - wurde damit argumentiert, dass auch der Developer diese Freiheit hat und dass er in praktische jeder Programmiersprache verschiedene Statements (und Sequenzen derselben) verwenden kann, die genau dasselbe erreichen.
Den Richtern - und die machen solche Einordnungen, der Gesetzgeber rennt dem dann hinterher - war damals nicht klar, dass genau diese Begründung gegen den Werkscharakter spricht: Das vom Programmierer hingeschriebene ist für niemanden wahrnehmbar - also auch eine persönliche Entäusserung oder Kommunikation irgendeiner Form - und die Äquivalenz verschiedener Statements spricht genau dafür, dass eine Wahl bei der Ausdrucksform nicht vorliegt.

In der Tat ist die Verwechslung eines Programmes mit einem Sprachwerk verständlich.
Das Schwarze sind die Buchstaben. in beiden Fällen. Beide sind nichtkörperlich und bedürfen der Verkörperung. Schon irgendwie ähnlich.
Das Problem ist nur: das eine ist technisches Konstrukt und das andere ist eben Werk.

Und genau das ist der Grund, warum das Urheberrecht bei Computerprogrammen nichts zu suchen hat. Jedenfalls so lange nicht, wie nicht auch ein Auto urheberrechtlich geschützt, das Fahren desselben eine Verwertungshandlung und das Parken auf öffentlicher Strasse eine öffentliche Aufführung ist.

Oh Grusel - da habe ich den darbenden Autokonzernen wohl grad eine schöne Idee geliefert.

In der Tat ist das Design eines autos durchaus geschützt: bewusst ähnliche autos zu einer bekannten Marke herzustellen ist nicht nur eine Ausnutzung der fremden Marke (kann man noch vermeiden), es ist auch ein Plagiat des Designs.
Dieser Designaspekt war noch deutlicher zu sehen, als die äussere Form noch nicht so von technischen Gegebenheiten wie Windwiderstand diktiert war wie heute. Im Museum kann dan das sehen.
Und diesen Teilaspekt von „Auto“ unter das Urheberrecht zu stellen, ist auch ganz in Ordnung, denn hier wird Form gestaltet und nicht Funktion.

Die Trennung von Form und Funktion ist für das Verständnis der Sachlage ohnehin entscheidend, also ein paar Worte dazu.
Ein Werk zeichnet sich aus durch seine Form. „Auszeichnen“ im Sinne von „unterscheiden von anderen“. Kopien unterscheiden sich nicht voneinander.
Bei Musik wird es am deutlichsten: sie ist reine Form, ohne jede Funktion. Aber auch ein Roman (Sprachwerk) oder ein Kinofilm (Laufbildwerk) ist Form.
Wir wollen von Dokumentarfilmen, die klar eine Funktion haben, hier einmal kurz absehen.
Mischformen sind immer wieder anzutreffen: eine Brücke oder ein Bürohochhaus hat beide Aspekte, die von Form und Funktion. Geschützt nach dem Urheberrecht ist dabei immer nur die Form.

Das Computerprogramm ist ebenfalls sehr rein in seiner Natur.
Nur ist es eben reine Funktion ohne Form.
Auch hier sind Mischformen denkbar und anzutreffen. Computerspiele zum Beispiel haben eine Engine, und der Maschinencharakter dieses Programmes kommt im Namen schon zum Ausdruck. Daneben stellt sich das Game-Design, das mit optischen und akustischen Elementen und mit den Spielregeln über gestaltete Form verfügt und komplettiert das Mischkonstrukt zum Spiel.
Aber das Computerprogramm ist auch beim Spiel klar als Werkzeug oder Material der Gestaltung zu erkennen, so wie Casein-Binder und Leinwand und Pigmente beim Gemälde: sie sind nicht Teil des Werkes sondern der Verkörperung.

In der Tat ist die Vorstellung schwierig, dass ein nichtkörperliches Konstrukt Teil der Verkörperung eines anderen nichtkörperlichen Konstruktes sein soll - aber konsequent gedacht kann man es nicht anders beschreiben.
Der juristische Begriff der „Sache“ is klar körperlich definiert. Physikalisch könnte man sagen: nur was Masse hat, kann Sache sein.
Aber in einigen Rechtsbereichen stösst diese Definition immer wieder an Grenzen. Handelbar sind z.B. nicht nur Sachen sondern auch Rechte und einige gehandelte Sachen sind inzwischen nichtkörperlich; Aktien zum Beispiel werden in weit geringerer Zahl gedruckt als gehandelt. Mit derlei Hilfskonstruktionen kann man sich immer wieder das alte Weltbild retten.

Aber bei Computerprogrammen hat das versagt: sie sind als Werke eingestuft.
Das tut den echten Werken Unrecht und es wird gleichzeitig Computerprogrammen nicht gerecht.

Ein Kardinal-Knackpunkt ist das englische Wort „use“ in Bezug auf echte Werke und Computerprogramme.
Bei einem echten Werk ist „Nutzung“ oder „use“ relativ klar definiert: Herstellen einer Kopie. tatsächlich ist es etwas unschärfer, denn auch das öffentliche Vorführen eines Filmes ist Nutzung/use im Sinne des Urheberrechtes. Und das ist auch noch nachvollziehbar.

Bei einem Hammer ist Benutzung/use auch klar definiert: wenn ich einen Nagel in ein Brett kloppe, dann benutze ich den Hammer.
Dabei entsteht vom Hammer keine Kopie. Dennoch wird das als Benutzung bezeichnet, denn für mich als Anwender entsteht ein Nutzen, eventuell auch einer, der Geld wert ist (Am Beispiel eines Hammers und eines Schmiedes wird das klar).

Wenn ich mir OpenOffice einen Text verfasse, dann entsteht für mich ebenfalls ein Nutzen. Nur eben nicht, weil ich OpenOffice nutze sondern weil ich OpenOffice benutze.
Häh?
Im Deutschen verwenden wir nutzen und benutzen als Worte und in der umgangssprachlichen Diskussion zum Urheberrecht taucht ganz ungezwungen immer die Unterscheidung auf. Das „benutzen“ beschreibt die Verwendung als Werkzeug, das „nutzen“ die Erstellung von neuer Perzeption (Koie, Aufführung im Kinosaal o.ä).
Unsere angelsächsichen Freunde haben diesen Luxs nicht, sie müssen mit „to use“ für beides auskommen.

Was zu Verwechslungen führt, die dann krampfhaft durchgehalten werden.
Das Ablaufen Lassen eines Computerprogrammes gilt heute als Nutzungshandlung im Sinne des Urheberrechtes. Steht so in der EU-RiLi, und daher im deutschen Gesetz.
Was für ein grober Unfug.
Selbst wenn man die Nutzung (das Kopieren) von Programmen noch analog zu echten Werken gesetzlich einschränken will - die Piraten vertreten hier in Mehrheit eine andere Position, aber die lassen wir mal der Übersicht halber kurz aussen vor - dann ist das Einschränken des Ablaufen Lassens doch haarsträubender Unsinn.

Aber es ergibt sich offenbar konsequent aus der Anwendung des Urheberrechtes auf ein technisches Konstrukt, das eben kein Werk ist sondern Werkzeug.

Also: Computerprogramme müssen raus aus dem Urheberrecht.
Sonst kommen noch mehr blödsinnige Ideen auf, die aus der Rückübertragung der Kardinalfehler zu den echten Werken entstehen. Die aktuell immer wieder von Zeitungsfritzen geforderten Leistungsschutzrechte gehören m.E. in diese Kategorie der blödsinnigen Ideen.

Und Computerprogramme gehören in das Patentrecht. Da hätten sie schon immer hingehört.

Allerdings wäre das Patentrecht auf seine Wurzeln zurückzubesinnen: ein Drittel der durchschnittlichen Nutzungsdauer einer Erfindung ist heute nicht mehr 20 Jahre sondern eher 7.
Vermutlich wird es einfacher sein, das Patentrecht einfach neu zu stricken um für jede Erfindungsklasse angemessene Lösungen zu erzielen.
So sind Arzeneimitteltests vor Patentantrag nicht möglich. Also gilt: erstmal patentieren, dann testen. Und da die Tests lange dauern, bleibt von der Patentlaufzeit nicht viel übrig.
An den Stellen wo man Patente auf Medizin erlauben kann (z.B. im Bereich von Kosmetik und Lifestyle) wäre eine andere Regelung als die aktuelle sicher viel besser geeignet.

Bei Erfindungen im Bereich der Materialwissenschaften kann ich mir wieder ganz andere Regelungen als optimal vorstellen.

Am Beispiel der Patente sieht man: wenn man diverses über einen Kamm schert, dann vereinfacht man nicht das Recht, nur die Gesetzgebung. Man verkompliziert die Rechtsfindung dagegen ungemein.

So auch geschehen bei Computerprogrammen: sie mit echten Werken in einen Topf zu werfen macht die Suppe nicht würziger sondern brütet Unfug.


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Politik

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