Professioneller Aktivismus

Für mich sieht es grad so aus, als stünde Fridays for Future vor denselben Problemen, die ich schon so oft habe erleben müssen. Der Artikel [https://www.tagesspiegel.de/politik/fridays-for-future-krach-bei-den-klimaaktivisten/24223740.html] zeigt ein Muster auf, das leider immer wieder auftritt.

Wenn https://de.wikipedia.org/wiki/Luisa_Neubauer sagt, sie wolle nicht das deutsche Gesicht von Fridays for Future sein und auch nicht "die deutsche Greta", dann bin ich fest überzeugt, dass sie das wirklich so glaubt.
Keine Ironie hier, kein Sarkasmus, denn genau dieses Muster aus Selbstwahrnehmung habe ich shcon oft gesehen.

Im https://www.tagesspiegel.de/politik/fridays-for-future-krach-bei-den-klimaaktivisten/24223740.html lesen wir: Luisa Neubauer sagt: „Ich habe es mir mit Sicherheit nicht ausgesucht, plötzlich eine öffentliche Person zu sein.“
Nun, das glaube ich in der Tat auch, sofern sie beim Aussprechen das Wort "plötzlich" betont hat.
Aber eine Parteikarriere hat die junge Frau imho. schon länger geplant.

Wie ich darauf komme?
Nun, sie ist Mitglied in diversen Organisationen und dort offenbar auch so aktiv, dass sie sich Respekt, Wohlwollen und Vertrauen in ihre Person erarbeitet hat.
Das ist nach meiner Erfahrung mit erheblichem Zeitaufwand verbunden, daneben hat sie aber offenbar ein Bachelor-Studium erfolgreich absolvieren können.
Das zeigt Entschlossenheit - eine Eigenschaft, die ich auch deshalb so hoch schätze, weil ich alter Sack sie bei der Jugend von heute immer wieder vermisse.
Wäre unter ihren diversen Mitgliedschaften in Organisationen, die alle unter "Umweltschutz" subsummiert werden könne, nicht auch eine Parteimitgliedschaft bei Bündnis80/Die Grünen, dann sähe ich sie als engagierte Aktivistin, jung (wenn das jetzt irgendwie abwertend geklungen hat, dann möchte ich daran erinner, dass ich an der Stelle einfach neidisch bin) und durch-und-durch bewundernswert.

Und diese Bewunderung wird nur wenig geschmälert durch ihre erkennbare kognitive Dissonanz.
Frau Neubauer reagiert auf die Droge Aufmerksamkeit in einer Weise, die ich schon mehrfach gesehen habe, eben auch mit einer Selbstwahrnehmung, die ziemlich kräftig neben der Realität liegt.
Ich denke, dass sie Auftritte im Fernsehen, Einladungen zu Bundesparteitagen der Bündnisgrünen, Presseinterviews oder allgemein Rummel um ihre Person durchaus auch geniesst.
Denn nur in diesem Gemützzustand wird die Angst erträglich, die derlei bei einer so offenkundig intelligenten und klugen Frau eben auch auslösen muss: sie ist in der Tat plötzlich zu öffentlichen Person geworden, war darauf nicht vorbereitet und ist jetzt auch ziemlich überfordert.

Doch, das kann ich belegen.
Natürlcih kann ich keine Gedanken lesen, das kann niemand (und am wenigsten die, die es von sich behaupten in Sätzen wie "ich weiss genau, was XY denkt!!!elf!!").
Aber rau Neubauers dokumentiertes Verhältnis zur Basisdemokratie zeigt, dass sie eben tatsächlich damit überfordert ist, ihre eigenen Ansprüche an sich und ihre Mitaktivistinnen und Mitaktivisten umzusetzen; selbst elementares Andere-auf-dem-Laufenden-Halten gelingt ihr nicht.
Also klar eine Überforderung - und nur eine Frau, die ziemlich doof ist, bemerkte das nicht. Also keinesfalls Luisa Neubauer.

Anders als der oft doch etwas gnadenlose Jan Fleischhauer kann ich das aber gut verzeihen.
Frau Neubauer leistet gut Arbeit für ein Anliegen, das ihr wichtig ist, hält sich dabei imho hervorragend und ich bin daher an der Stelle neidisch auf die Grünen: noch vor 10 Jahren wären solche Aktivistinnen eher bei uns Piraten aufgelaufen statt bei einer Partei, die schon lange zum reinen Mockup eines politischen Arm der Umweltbewegung verkommen ist.

Genau dort, bei den Piraten und speziell am Beispiel einiger junger Frauen und Männer, die ich (bis heute) bewundere, auch wenn sie sich aus der aktiven Parteiarbeit komplett zurückgezogen haben, habe ich den Zielkonflikt mehrfach erleben können.

Der Zielkonflikt

Im Grunde ist es ganz einfach und logisch.
Wenn Aktivismus aus Protest gegen einen Misstand erwächst - Fridays for Future ist so eine causa - und der Protest "gegen X" eine Bewegung bildet, dann kann dabei viel Engagement, Motivation, Kreativität, Aktivismus entstehen. Ehrenamtlicher oder gar hobbyistischer Aktivismus: die Mitglieder der Bewegung haben erstmal nichts davon bzw. es kostet sie auch noch was (wie ein Hobby halt).
Gute Sache das!

In der Bewegung treten dann zwei Belohungseffekte für die Mitglieder auf.
Zum einen ist da die soziale Interaktion. Da Menschen nun mal soziale Lebewesen sind, stellt das in sich schon eine Belohung dar. Dazu gehört bzw. gesellt sich das Gefühl, Teil eines Großen Ganzen zu sein, was sich auch immer wieder (leider auch immer wieder in gruseliger Gestalt) als starker Motivator herausstellt; und Motivationen laufen bei Menschen eben vor allem über Belohnung, Angst und Scham.
Letztere natürlich nur bei jenen, die sich dieses Gefühl nicht haben operativ entfernen lassen.

Ich sehe den sozialen Belohungseffekt als etwas sehr gesundes, weil eben menschengerecht-natürliches, an.
Nun sind auch Tumorzellen komplett natürlich; aber eben irgendwie aus dem Ruder gelaufene Varianten von Vorläuferzellen.
Jener Belohnungseffekt, den ich als Profi-Effekt bezeichne, ist es, der bei Aktivistinnen und Aktivisten quasi immer aus dem Ruder läuft.

Der Grund liegt für mich in seinem inhärenten Zielkonflikt.
Sobald aus dem Aktivismus für die Aktivistin/den Aktivisten ein direkter Vorteil erwächst - also nicht nur der Vorteil, den Gesellschaft nun mal immer für alle ihre Mitglieder hat, wenn ein persönlicher Vorteil innerhalb der Gruppe erwächst, dann stellt sich ein Zielkonflikt ein.
Und Anerkennung innerhalb der Gruppe, gar Ruhm, ist dabei genauso ein solcher Vorteil wie Gelderwerb.
Daher stehen solche emotionalen Vorteil in meinen Augen den finanziellen gleich, jedenfalls was die Mutagenwirkung in Bezug auf den persönlichen Aktivismus angeht.

Sobald ein solcher persönlicher Vorteil entsteht hat der betroffene Aktivist/hat die betroffene Aktivistin ein verringertes bis kein Interesse mehr an der Lösung des zugrundeliegenden Problemes. Sie/er wird gefangengenommen vom Zielkonflikt.
Denn der Protest gegen Misstand X ist nun mal von der Existenz des Misstandes X abhängig.

Daher vermute ich, dass auch Freu Neubauer schon im Zielkonflikt feststeckt: machte wie Ernst mit der Basisdemokratie bei Fridays for Future in Deutschland, dann nähme die Aufmerksamkeit um ihre Person kurzfristig spürbar ab.
Und dieser Entzug ist mindestens spürbar, sehr, sehr schnell auch brutal.
Selbst kleine Dosen der Droge öffentliche Aufmerksamkeit bewirken schon nach kurzem Entzug spürbaren bis brutalen Seelenschmerz.

Sehr junge Leute wie Frau Neubauer erleben das noch stark bedämpft.
Mal angenommen, morgen käme der Harry Potter vorbei, schwünge seinen Stab und murmelte etwas lateinisch klingendes und plötzlich sei die regierende Politik fest von dem Enschluss beseelt, den fossilen Kohlenstoff da liegen zu lassen, wo er Jahrmillionen gut aufgehoben war: Greta Thunberg oder Luisa Neubauer könnten ihr Engagement flugs auf andere Misstände richten.
Leider gibt es ja massenhaft davon.
Die (politische) Karriere der Frau Neubauer wäre also nicht wirklich gefährdet, der Verlust des Aktivismus-Grundes also nicht vernichtend.
Aber wohl spürbar?

Möglicherweise lässt sich der von mir postulierte Zielkonflikt daher an anderen Aktivismen besser untersuchen.
Jedenfalls muss er logischerweise entstehen, wenn eine Aktivistin/ein Aktivist aus dem Protest-gegen-X einen finanziellen Vorteil zieht - das Interesse, den Misstand zu erhalten stellt sich dann zumindest neben das Interesse, den Misstand abzustellen, selbst wenn es das ursprüngliche Anliegen nicht komplett verdrängt.

Ein enger Verwandter dieses Phänomens ist das Trollproblem.
Schon in Usenet-Zeiten traten diese bis auf den heutigen Tag aktiven Teilnehmer in "Foren-Diskussionen" in Erscheinung.
Nach Neuanfängen (z.B. Piratenpartei in 2009) treten diese eher positiv in Erscheinung, erlangen Aufmerksamkeit durch sehr konstruktives Mitwirken am Diskurs.
Der Troll zeichnet sich aber durch Addiktionsverhalten aus: die Dosis der Droge muss permanent gesteigert werden, um noch die erwünschte Wirkung zu entfalten. Das führt beim Troll fast zwangsläufig zu einer Änderung des Mitwirkungsverhaltens von konstruktiv zu destruktiv; denn das Destruktionsverhalten kann hohe Dosen von Aufmerksamkeit garantieren.

Bei Profi-Aktivisten ist die Verhaltensänderung subtiler.
Statt des krassen Umschaltens von konstruktiv auf destruktiv sind dort eher die Verhaltensweisen wie "passives Bremsertum" verbreitet.
Aber auch stark polarisierendes Verhalten wird in diesen Kreisen immer wieder gern als Lösung für das Problem "nachlassende Aufmerksamkeit bei konstant geringer Relevanz" genommen, wie ich aus meiner Erfahrung zu wissen glaube.

Jedenfalls wird man Frau Neubauer in Auge behalten müssen.
Die Frau hat offenbar wirklich etwas auf dem Kasten, hat nun schon in jungen Jahren Blut in der Politik geleckt und hat wie so viele ihrer Generation das Herz auf dem richtigen Fleck.
Mal sehen, wann sie erkannt haben wird, das man mit "Ansprüche stellen" immer bei sich selbst beginnen muss.
Die Dire Straits zitieren das Klische https://www.quora.com/What-is-the-origin-of-the-saying-when-you-point-a-finger-there-are-three-fingers-pointing-back-at-you?share=1 in Solid Rock https://www.psychologytoday.com/intl/blog/headshrinkers-guide-the-galaxy/201109/three-fingers-pointing-back-you , Michael Jackson's Man in the Mirror traue ich mich kaum zu nennen, wo doch dieser Tage immer gruseligeres über den Autor zu Tage tritt.

Ich bleibe gespannt.
Vor allem darauf, ob sie widerwärtiges Verhalten wie das Niederbrüllen von Politikern, die sich mutig der Übermacht stellen, wiederholt mit "Basisdemokratie" rechtfertigen wird...

Womit wir dann wirklich beim Anlass dieses Post angekommen wären :-)


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Politik

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