Gedungener Hilfssherrif: wider willen oder billig-willich?

Auch wenn ich es an sich ablehne, über ungelegte Eier zu reden, das ACTA Ei stinkt schon, bevor es gelegt ist. Und zwar wie eine Kreuzung aus Adler uns Skunk, also irgendwie undefinierbar aber zum Himmel.
Jedenfalls haben die geheimen Verhandler wieder mal alle Register der politischen Kunst gezogen. Und immer noch fragen sich Deutsche, ob man eine Piratenpartei braucht. Ha! Und wie!

Die verschiedenen Tricks sind nicht ganz neu, aber funktionieren doch immer wieder gut.
Erstmal im Geheimen eine Wunschliste zusammenphantasieren, dann diese als „absolute Minimalforderung“ deklarieren.
Dann kurz vor Schluss mit Probebohrungen - „leaks“ - feststellen, wie die Öffentlichkeit darauf wohl reagieren wird.
Wenn die Leser und etwas später auch die Redaktionen der ewigen Diskussion müde sind und sich auf das nächste Thema stürzen, dann kann man mit der Katze aus dem Sack kommen. Also schon recht bald, würde ich vermuten.

Auch die Technik, zunächst ein wichtiges Thema anzugehen, das alle befürworten - z.B. Schutz vor gefährlichen Medikamentenfälschungen oder Bremsbelägen aus Kuhdung - und dann komplett anderes Zeug wirklich zu behandeln, ist nicht so ganz neu.

Aber jetzt die Nummer mit den Internetsperren.
Die Beteuerungen, dass keine vorgesehen seien, sind natürlich alle wahr: kein Gesetz soll einen ISP zwingen, einem Kunden den Internet-Zugang zu kappen.
Das soll der wirtschaftliche Druck machen.

Genial. Der Markt regelt es.
Wenn ein Provider nicht zensiert, sperrt, schnüffelt und seine Kunden gängelt, dann soll er für alles haften, was der Kunde mit dem Internetanschluss anstellt.
Daher werden die IP-Paket-Transporteure also alle nicht filtern, ist ja völlig klar. Zwingt sie ja keiner.

Juristisch kann man hier aus der Logik argumentieren, dass wer eine Gefahrenquelle schafft, auch dafür geradestehen muss, was an Gefahr entsteht.
Wir kennen das aus dem Autoverkehr: ein Kraftfahrzeug führen darf nur, wer zumindest einmal nachgewiesen hat, dass er dazu nicht völlig ungeeignet ist (und bis auf Widerruf, wenn die Nichteignung offensichtlich oder wahrscheinlich ist).
Und die Restrisiken muss der Fahrzeughalter schultern und dafür eine Versicherung abschliessen.
In der Schweiz gibt es eine Pflichtversicherung übrigens auch für Pedalfahrzeuge (vulgo „Fahrräder“): Versicherung preisgünstig und Strafe teuer.

Ein Internetanschluss ist also eine Gefahrenquelle, da er als Werkzeug auch für Straftaten verwendet werden könnte (z.B. Vorbereitung eines Angriffskrieges). Und dafür muss jemand haften. Am besten ein Sündenbock.

Die Sündenbockhaftung ist sowieso sehr beliebt heutzutage. Verantwortung, ja, das ist etwas, das tragen andere.
Auf der Kartbahn musste ich schon erleben, dass ein vielleicht 9-jähriger Steppke seine Niederlage (er war von einem anderen 9-jährigen, der einfach klasse gefahren war, geradezu zersägt) ganz fachmännisch erläuterte: sein Reifendruck wäre ja auch nicht optimal gewesen.
Genau. Was auch sonst?
Hallo Eltern: so erzieht man nur Atommüllendlager-finde-ich-Klasse Pappnasen und keine verantwortungsbewussten Piraten!

Die Frage, die Bitkom, eco und Konsorten jetzt noch beantworten müssen: wollen die ISPs zum Hilfssherrif werden oder lehnen sie das eher ab?
Ich habe da meine Bedenken - denn aus der Branche komme ich ursprünglich mal.

Damals, in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, da war die ISP-Landschaft in Deutschland klar in mittelständischer Hand. Die Post (später Telekom), war noch bei BTX, alternative Carrier gab es noch nicht oder wenig oder sie machten nur mit Telefon rum (Otelo, Arcor, D2 privat).
Das Internet-Dings, das machen kleine 2/3/4-Mann Buden wie netmbx, unlisys, interactive networx, bbTT um nur mal Berliner zu nennen. Die überregionale Organisation machten Kooperationen und Genossenschaften (wie ich Eunet und Denic mal nennen will).
Dass in so einem inkohärenten Haufen ein verteilter Dienst wie DNS überhaupt funktionieren konnte, lag vor allem an der Standesehre der ISPs: „Domainfälschungen? Sowas macht man nicht!!“
Die ISP-Landschaft hat sich geändert, und zwar massiv. Geld war erforderlich für Investitionen und damit waren die alten Telcos gut ausgestattet.
Und wer nimmt schon einen DSL-Anschluss vom kompetenten Krauter aus der eigenen Stadt, wenn er für 10% weniger einen vom super-Gross-Brandname bekommen kann, dessen Call Center grad von Pappnasen ohne Ahnung auf schlecht trainierte Schimpansen umgestellt wird („Die Kosten müssen runter! Koste es was es wolle!“). Auch mein Arbeitgeber wurde Ende der 90er mal an einen grossen ISP aus dem alten Kontinent verkauft, der uns grasberockten, speerschwingenden - aber edlen! - Wilden dann die Hochtechnologie brachte und uns beibrachte, wie man ISP-Business macht.
Fulminante Pleite nur wenige Jahre später, als man sich durch unsere schwarzen Zahlen gebrannt und auch den letzten Grosskunden vergrault hatte.

Ich traue den Managements der heutigen ISPs keinen Widerstand gegen die Zensur zu.
Schon bei Zensursulas „Vertragslösung“ haben wir gesehen: die Alices und Arcors und so konnten doch gar nicht schnell genug unterschreiben.
Dann ist nämlich endlich Ruhe an dieser Front und man kann endlich wieder das wirklich wichtige tun: Die Schimpansen durch Meerkatzen ersetzen („Wieso? Sind doch auch Primaten und kleiner: passen mehr in einen Cubicle - die Kosten müssen runter!“)

Wird irgendwie Zeit, dass Ehrgefühl wieder in Mode kommt.
Zeit für Piraten.


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