Ruhrpott Symbolbild

Ruhrpott

War der Ort symbolisch gewählt? Der Ruhrpott hat ja schon einiges erlebt. Damals, als die Hochtechnologie noch auf Eisen als Hauptsubstrat basierte (im Wesentlichen auf Legierungen mit Kohlenstoff, die unter „Stahl“ bekannt sind), da war der Pott die Gegend. Also, wirtschaftlich. Insbesondere, weil dort eine Ressource zu finden war, die für die Hightech der vorvorigen Jahrhundertwende unabdingbar war. Kohle.

Und um Kohle ging es auch an diesem Wochenende in Essen bei den Piraten. Das Unperfekthaus - klingt irgendwie auch symbolisch. Denn Perfektion, die haben die Piraten bisher nicht vorzuweisen. Und das ist sehr gut so.

Perfektion, das mag bei vielem unseres Tun ein Ziel sein, aber wir wissen: erreichbar ist sie nie, jedenfalls nicht für Menschen. Dennoch streben wir danach und wollen ihr nahe kommen. Denn Perfektion ist eine schöne Utopie.

Den utopischen Charakter darf man aber niemals vergessen. Sonst gerät man schnell auf die Schiene, dass es Anerkennung nur noch für Perfektes gibt. Und das ist dann die Stunde der Blender, jener Type Mensch, die Perfektion vorspielen kann und diese Täuschung recht gut aufrecht erhält. Wer Perfektion verlangt, der wünscht sich diese besondere Sorte Lügner in führenden Positionen. Der Politik tut das - vorsichtig formuliert - nicht gut.

Doch ich schweife ab, war das Thema doch die Euwikon der Piraten in Essen. Es ging um Kohle. Geld halt.

In 2010 habe ich ja noch gehofft, wir würden mit unserer jungen, unerfahrenen, im Aufbau und -bruch befindlichen Partei um das Thema „Eurorettung“ herumkommen. Damals habe ich noch gesagt: das Thema Krise ist bis zur Bundestagswahl 2013 durch und gegessen: entweder ist die Eurozone bis dahin kollabiert und wir stehen vor einem wirtschaftlichen Trümmerhaufen oder das Ding ist gelöst.

Und an sich müsste es so sein. Natürlich wäre es mir auch lieber, es gebe eine hübsche Patentlösung für das Problem und alles wäre wieder gut, schön, Wachstum, Friede, Freude, Eierkuchen. Highly unlikely, I‘d say.

Also doch eher ein Schrecknis irgendeiner Art. In dieser Richtung dachten auch einige Piraten in Essen: einmaliger Haircut, Schuldenschnitt , so ein Bischen „zürück auf Los“ und dann weitermachen.

Finde ich verlockend. Simpel, einmal Zähne zusammenbeissen, „es piekst nur ganz kurz, tut gar nicht weh“ und dann wird es wieder gut.

Wenn es denn funktionieren könnte. Mal abgesehen davon, dass die Aufgabe, die Lasten dieses Vermögensabbaus gerecht zu verteilen, o lösbar ist wie die Quadratur des Kreises, es würde nicht mal funktionieren. Moment - Vermögensabbau will doch keiner, nur die Schulden sollen (einmalig) runter.

Aber das ist nun mal dasselbe, denn so ist unser Geld definiert: als Schuldschein. Das Geld(-vermögen) des einen ist die Schuld eines anderen. Daher sind Schulden- und Vermögensabbau dasselbe. Interessanterweise traut sich ausgerechnet die CSU an das Thema Vermögensabbau ran: stolz verkündet sie, die Staatsschulden des Landes Bayern zurückzufahren.

Das finde ich mutig. Oder ist es das etwa nicht? Hoffen unsere bayrischen Freunde womöglich, dass sie ihre Schulden abbauen können, ohne Vermögen anzutasten? Das ginge ja nur, wenn sich dann im Gegenzug irgendwer anders weiter und höher verschuldete; in dem Fall wäre es in der Tat nicht mutig sondern widerwärtig hinterfotzig. Nein, sowas machen Bayern nicht, das sind anständige Leute bei der CSU und sie sehen sich ja auch als Vorbilder: alle sollen es nachmachen und die Schulden abbauen.

Wenn der Abbau über Rückzahlung läuft, dann kommt ja auch kein Gläubiger zu Schaden, könnte man denken. Aber das ist in der Denklogik der kapitalistischen Wirtschaft eben falsch: ein Gläubiger hat ja Interesse daran, den Kredit so lange wie möglich auszudehnen - jedenfalls solange der Schuldner kreditwürdig ist: nur wenn der Kredit lange läuft, kommt maximaler Zinsertrag heraus.

Wenn Geld nicht angelegt ist, dann verliert es an Wert: das nennt man Inflation. Ein klein wenig davon haben wir immer, und das ist auch ganz gesund. Geld würde sonst in Sparstrümpfen versauern und dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Kreditklemme nennt man das gemeinhin.

Dieses System gilt in Deutschland, ja in der Welt als gesetzt. Wir alle wachsen darin auf, atmen seine Denklogik ein und zweifeln an seinen ewigen Wahrheiten irgendwann nicht mehr.

Wer es doch tut, der will - um mit Guido Westerwelle zu sprechen - den Sozialismus einführen. Und wie wahnsinnig grässlich das ist, „weiss man ja“.

Ich muss sagen: mein Marx ist ne Weile her (war damals auf der Schule - was engagierte Lehrer so anrichten können :-) und schon damals fand ich das irgendwie unsexy. Der Mann landet irgendwie immer bei einer Dystopie: irgendwie kann auf Kapitalismus bei den Marx-Anhängern immer nur zwangsweise die totale Barbarei folgen.

Die totale Konkurrenz, Hauen und Stechen um die Bröckchen, die man noch ergattern kann.

Das erschreckende dieser Tage: die Anzeichen dafür mehren sich dramatisch. Der Arabische Frühling ist noch im Schwange - Ägypten ist mitten im Umbruch, Syrien mitten im Bürgerkrieg. Dieser Funke scheint langsam auf Griechenland überzuspringen - aber wenn ich ehrlich bin mag ich mir einen Bürgerkrieg mitten innerhalb der Nato nicht wirklich vorstellen.

Aber es gibt auch die kleine Version dieser Endzeit. Die Zeitarbeit weitere sich aus und in der IT will man noch einen Schritt weiter: Projekte sollen quasi versteigert werden. Freelancer sollen um die Projekte konkurrieren, Software auf Bestellung. Aus den ersten drei Einsendungen wählt der Auftraggeber die aus, die zwischen Preis und Leistung seiner Meinung nach den besten Punkt trifft und bezahlt - die anderen gehen leer aus (bekommen als Trostpreis vielleicht noch eine „gute Bewertung“ - ein Fleißbienchen).

Klingt nach selbstgestalteter Arbeit, Eigenverantwortung, Freiheit von Knechtschaft wie Bürozeiten und so. Freiheit, Selbstbestimmtes Leben - schöne Sache!

Jedenfalls solange da für alle ein auskömmliches Einkommen rauskommt. Dann allerdings lohnt sich die Sache für die Auftraggeber nicht im Vergleich zu fest angestellten Softwerkern. Nur wenn die in gnadenloser Konkurrenz um die Bröckchen kämpfen, wird das richtig bilanzwirksam - denn die Nachteile des Konzeptes wie verschlechterte Kommunikation, erheblicher Mehraufwand in der Qualitätssicherung etc. müssen ja ausgeglichen werden.

Hatte olle Kalle doch recht? Steuern wir auf den Zusammenbruch der Zivilisation zu. Sind all die Umschuldungen und Schuldenausweitungen, die wir grad teuer herstellen, also wirklich nur das letzte Aufbäumen, das sich-nicht-Fügen in das Unvermeidbare?

Nein, das Gefühl nehme ich nicht mit aus Essen. Sondern es gibt andere Lösungen. Die Ansätze, die Gedanken, die Ideen sind da.

Spannend wird, ob wir die Kooperation der anderen Player auf dem politischen Feld gewinnen werden können. Oder ob da in guter alter Parteipolitik-Tradition „wenns von der Opposition kommt, grad von den Piraten, muss es ja Schrott sein“ gilt. Also, automatisch und immer und unverrückbar.

Diese Erfahrung müssen unsere Fraktionen in den 4 Landtagen grad machen: an das Piraten-Ideal der konstruktiven Opposition glauben die Wettbewerber noch nicht recht. Sie sind so gefangen in ihrem eigenen Willen zum ständigen Asu- und Rumtricksen, dass sie sich nicht vorstellen können, dass es auch anders gehen könnte.

So wir wir fast alle uns nichts anderes als die gewohnte Marktwirtschaft vorstellen mögen :-)

Demnächst mehr dazu.


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Politik