Schimpfworte

Es gibt ja Schimpfworte verschiedener Klassen und Kategorien. Zum Beispiel solche, die man nicht einer Person an den Kopf wirft sondern einer ganzen Gruppe.

Eine besonders schlimme Beschimpfung ist es ja, einem Menschen vorzuwerfen, Parteipolitik zu betreiben. Würde das mir jemand vorwerfen, es wäre wohl eine neuer Rekord in Beleidigungen meiner Person - und das obwohl ich schon als Projektleiter in Arabien gedient habe (und in der arabischen Tradition gehören Anwürfe, die wir Europäer als schlimme persönliche Beleidigungen sehen, zur ganz normalen Verhandlungstaktik am Ende eines Geschäftes).

Dieses „Parteipolitik“ beschreibt ein Verhalten, bei dem alles was von dem da oder denen da kommt, automatisch Dreck ist; oder ganz schlimmer Dreck. Daher kommt dann sofort der Beissreflex heraus, Widerspruch bis hin zum „das Gegenteil muss also richtig sein“

Man mag so ein Verhalten verstehen können, mag es als ganz normal menschlich erkennen, mag es verzeihen können. Aber in der Politik hat das m.E. nichts zu suchen.

Da ist es nur eine Ausrede für die eigene Schwäche und Verderbtheit, wenn sich der Politiker hinter Fraktionszwang, Parteipolitik oder dergleichen verschanzt.

Bequem ist es. Wenn man automatisch alles, was von „dem da“ kommt als Dreck abqualifizieren kann, erspart das enorm an Nachdenken. Und es macht vielleicht auch leichter erträglich, dass alles was man selber sagt nur Mikrosekunden später von irgendwem als Dreck abqualifiziert wird. Also, bequem ist das.

Aber es ist nicht gut. Ein grosser Teil der Politikerverdrossenheit, also der Verdrossenheit und Wut derer, die sich nicht so intensiv täglich mit Politik befassen wie diejenigen, die dafür bezahlt werden, geht auf das von mir grad als Parteipolitik geschmähte Verhalten zurück. Eine Verdrossenheit mit Politik kann ich nicht feststellen, die Notwendigkeit, dass sich jemand um die Polis (die Gemeinschaft) kümmern muss, wird überall gespürt und anerkannt. Nur es in der Politik zu tun, das wird inzwischen als schmutzig, verderbt, nahezu widerwärtig angesehen. In meiner Familie habe ich einen Fall einer Person, die mich meidet seit ich in einer Partei eingetreten bin. Seine (eher gefühlte als ausgesprochene) Grundthese ist, dass nicht Politik den Charakter verdirbt, sondern dass man schon einen verdorbenen Charakter haben muss, um sich überhaupt in die Politik zu begeben. Ergo bin ich also eine (übrigens durch meinen Rückzug aus der Partei und politischen Aktivität nicht rehabilitierte) fiese dumme Sau. Wie eben jeder Politiker oder jeder, der einer sein möchte.

Wie gesagt: für mein Gefühl versteht Deutschland ganz gut, dass es Menschen geben muss, die die anstehenden Probleme lösen. Auf der kurzen Distanz wäre da der Zusammenbruch des Finanzwesens und die Schäden, die die fallenden Trümmer auf der Wirtschaft hinterlassen werden. Auf der mittleren Distanz der Zusammenbruch des Energie verschwendenden Lebensstils in der Industriegesellschaft. Auch hier sind fallende Trümmer zu befürchten, wohl in der Form von gewaltsamen Konflikten. Auf der langen Distanz wird womöglich die Wasser- und sonstige Nahrungsversorgung zusammenbrechen, wie das lokal schon heute immer wieder sichtbar ist. Und auch hier scheinen gewaltsame Konflikte irgendwie vorprogrammiert.

Grosses ist zu tun. Grossartiges ist zu leisten, allerdings wenig glorioses, weswegen auch wenig Ruhm, wenig Ehre, wenig Anerkennung zu ernten ist. Denn die grossartigen Leistungen, die anstehen, werden nur als emergentes Phänomen aus einer Masse an ganz profanem Kleinkram erwachsen können.

Bei unseren Freunden in den ehemaligen britischen Kolonien kann man dieser Tage wieder sehr schön beobachten, wie sich Parteipolitik äussert.

So etwas ist in Deutschland natürlich völlig undenkbar! Hierzulande ist die Politik von reinster, geradezu destilliert zu nennender Vernunft getragen und nur das als Das Richtige (tm) erkannte wird getan. Alternativlos natürlich.

Aber sorry Leute: mit Beissreflexen, Fingerpointing, Lagerwahlkampf, Kampfrhetorik und ähnlichen Brandbeschleunigern kann man Feuer nur sehr mühsam löschen. Auch wenn sich das so anfühlt, als würde man da gaaaanz toll rebellieren und alles besser machen.

Ich will es einfach nicht glauben. Aber irgendwie dämmert mir immer mehr, wie recht meine Atze haben könnte mit seiner Unterstellung, dass man den Politikbetrieb nur als fieses Schwein aushalten kann. Und dass es daher kein Wunder ist, wenn dabei eben Parteipolitik vom Feinsten herauskommt.


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Politik