Informatik als Schulfach?

Lese grad [https://www.heise.de/newsticker/meldung/Bitkom-Mehrheit-der-deutschen-Bevoelkerung-befuerwortet-Informatik-als-Pflichtfach-3998255.html]. Und habe Bedenken.

Wer mich kennt, der weiss, dass ich von der Idee genau gar nichts halte. Aber ich denke, es lohnt sich ,das wieder einmal zu begründen.

Es gibt zwei gute Gründe, warum nach meiner Meinung Informatik als Schulfach ungeeignet ist.

1) "Das geht alles von Ihrer Zeit ab!" 2) Bildung ist eben nicht Aus*bildung

fangen wir mit dem Punkt

Ausbildung

an.

Ausbildung ist wichtig: Leute, die einen Beruf ausüben - sei es aus Berufung, sei es aus Gewohnheit, sei es aus schierer Notwendigkeit - sollten was von der Sache verstehen. "Einmal mit Profis" lautet ein vielgehörter Seufzer, der aber auch auf eine Begriffsverwirrung zurückgeht: "Profi" bezeichnet Leute, die etwas "gegen Entgelt" tun, nicht notwendigerweise Leute, die was von der Sache verstehen. Aber in der Regel gehen Profis, die nix von der Sache verstehene, am Markt schnell unter (ausser in bestimmten Berufen vielleicht. Mir als Finanzlaien scheint das z.B. im Bankwesen der Zusammenhang zwischen Können und finanziellen Erfolg unbewiesen).

Also, Ausbildung ist wichtig und tut not. Das deutsche Modell der dualen Ausbildung - also die Kombination aus betrieblicher ausbildung und Berufsschule - wird ausserhalb Deutschlands häufig etwas neidisch beäugt und als besonders gutes Beispiel dargestellt. Irgendwas machen wir da also schon richtig.

Aber vor dieser Ausbildung liegt die Schule. Und diese wird in den letzten 30 Jhren für mich gefühlt immer mehr auf Ausbildung getrimmt. Mit meinem Lamento bin ich nicht allein. Zum Beispiel Harald Lesch - seines Zeichens selbst (Hochschul-)Lehrer - ist nicht gerade begeistert davon [https://www.youtube.com/watch?v=Wj-KTcxjLqs] oder [https://www.youtube.com/watch?v=Wj-KTcxjLqs].

Einer der Kernpunkt ist hier, dass die persönliche Bildung, also die Entwicklung von Jungmenschen zu Persönlichkeiten im Diskurs um "Bildungs"politik immer mit Ausbildung verwechselt wird. Bei der Ausbildung geht es um die Befähigung zur Teilnahme an einem Wirtschaftssystem. Die Neocons, Marktliberalen und Libertären neigen dazu, nur in "Geld verdienen" quantifizierbare Ausbildung als Bildung zuzulassen und auch nur diese zu betrachten.

Und das ist grundfalsch. Es verarmt uns als Gesellschaft. Und es hatschon ganz praktische Auswirkungen: ich höre immer häufiger die Mitglieder meiner Generation darüber klagen, dass die jungen Leute, die so nachkommen, nur noch Ja-Sager und fully steamlined Anpaser sind. Sind wir Alten Säcke einfach nur alt und beschweren uns über die "Jugend von heute"? Oder ist da wirklich was dran, wenn DAX-Vorstände nach dem Feierabendbier-Seufzer "'s kommen keine Männer mehr nach, nur noch Würstchen" als Erläuterung darstellen, dass sie im Nachwuchs niemanden mehr finden, dem sie Entscheidungskompetenz beimessen und daher echte Führungsrollen übertragen würden.

Und diese Situation wird erst seit ca. 15 Jahren beklagt. Wenn es wirklich eine neue Entwicklung wäre, dann wären wir als gesellschaft auf einem sehr gefährlichen Weg. Menschen zeichnen sich durch Anpassungsfähigkeit aus, sowohl auf der Ebene der Individuen als auch auf der Ebene der Gesellschaft.

Die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft basiert aber auf dem Phänomen der Pubertät: so nervig für uns Alte Säcke das pubertäre Verhalten oft ist, es ist eben auch Bedingung und Quelle für die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft and geänderte Bedingungen. Und die Bedingungen ändern sich eben durch technische Entwicklung (z.B. das Aufkommen von Mobilkommunikation als Massenphänomen).

Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir Jungmenschen zu Persönlichkeiten, ggf. mit Ecken, Kanten und Macken, aber eben mit Inspiration, und mit Bewusstsein für Verantwortung und Risiko. Und das können Fachidioten nicht leisten.

Und damit sind wir beim zweiten Punkt:

Zeit in der Schule

Wenn wir ein neues Fach einführen, dann gibt es nur eine Möglichkeit: die Unterrichtszeit dieses Fachs geht von anderen Fächern ab.

Die theoretische Möglichkeit, die entsprechenden Stunden auf das vorhandene Pensum draufzulegen, ist einfach nicht drin: schon jetzt belasten wir unsere Junglinge bis zur Grenze. Mal abgesehen, dass das auch wieder viel Geld kostete, aber das sollte in der Bildung nie ein Grund sein: Bei Bildung zu sparen ist immer kontraproduktiv.

Also: ein Pflichtfach Informatik (wir sprechen nicht über eine Informatik-AG, also im schulischen Rahmen organisierte Freizeit) muss immer Zeit von anderen Fächern abzwacken. Also stellt sich die Frage, von welchen Fächern wir etwas weglassen.

Die Informatik wird immer in einem Atemzug genannt mit den Naturwissenschaften (Physik, Biologie, Chemie) und der Mathematik. Wenn es um Hochschulen geht, dann sind auch die Ingenieurswissenschaften noch im Kanon, die an der Schule aber keine Rolle spielen (ausser an speziellen Fachgymnasien).

Fragt man in Politik oder Praxis (=Lehrer und Schulleiter) die Frage von oben, dann herrscht schnell Einigkeit, dass die Informatik-Stunden immer innerhalb des Budgets des MINT-Kanons liegen müssen. Es geht also von Mathe, Physik, Bio oder Chemie ab.

Und das ist der Punkt, wo es mich gruselt. Denn die Kenntnisse in diesen extrem wichtigen Grundlagenfächern dürfen nicht erodiert werden. Ich tue ja Beschreibungen von BewerberInnen, die nicht im Bewerbungsgespräch nicht 10% von 49,90 ausrechnen können, immer als anekdotisch ab: diese Geschichten erzählen immer Alte Säcke (meiner Generation) und beschreiben damit seltene worst cases. Alles noch "Jugend von heute"-Effekt und damit die schon für Sokrates dokumentierte Wahrnehmungsverzerrung [http://www.bildungswissenschaftler.de/5000-jahre-kritik-an-jugendlichen-eine-sichere-konstante-in-der-gesellschaft-und-arbeitswelt/]. Wobei hier Genervtsein von (ganz normalem und wie oben angerissen notwendigem Pubertätsverhalten) sich mit der Glorifizierung der eigenen Jugend vermengt.

Aber wir dürfen unseren Junglingen nicht die Kenntnisse in den absoluten Grundlagen nehmen. Zu diesen Grundlagen zähle ich neben der eigentlichen Physik (Verständnis der Welt an sich), der Biologie (Verständnis der Ökophäre und der Grundlagen der Medizin und eigenen Natur) und Chemie (Verständnis diverser Risiken) auch die Kenntnis der wissenschaftlichen Methode.

Die Methode aus Hypothese -> Experiment -> Theorie muss gelehrt werden. Die Falsifizierbarkeit als elementare Grundlage jeder Wissenschaftlichkeit muss verstanden werden. Die Physik und Chemie eignen sich zum Erlernen dieser Methode besser als andere.

Und auch vom Mathe-Unterricht würde ich ungern etwas abziehen. Ich weiss nicht, ob die Mathe-Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen heutzutag' wirklich so schlimm sind wie manch eine Personalchefin beklagt. Aber egal wie die Lage ist: weniger ist definitiv ein Verlust.

TL;dr?

Nun: ich bin gegen Informatik als Schulfach.

Ich halte es einfach für nicht bildungsrelevant - genau wie Elektrotechnik, Maschinenbau und die anderen Ing.-Wissenschaften - ganz im Gegenteil zu Physik, Chemie, Biologie und Mathematik

Und daher hat es einen Platz in der Schule (mit Ausnahme von Spezialgymnasien, wie es sich auch z.B. mit Elektrotechnik als Leistungskurs gibt).

Warum fordern es imme wieder irgendwelche Leute?

Zum grossen Teil wohl, weil für viele die Maschinen und Kommunikationsnetze grosse Mysterien sind. Man hat keine Ahnung, wie das Zeug funktioniert und will für den Nachwuchs, dass dieser bitte nicht so hilflos den Techno-Magiern ausgelifert ist.

Gute Idee! Falscher Lösungsansatz. Denn Kommunikationskompetenz und kritischer Umgang mit Medien lassen sich durch Kenntnise in einer Programmiersprache und vielleicht einer IDE erwerben.

Selbst im allerbesten Fall, dass die Schülerinnen und Schüler wirklich solide Kenntnisse erwerben, wie Computer grundlegend funktionieren, was die Dinger können und was nicht, was sie in Kürze können werden (Moores Beobachtung von der Verdopplung der Transistorzahlen gilt immer noch und bringt immer wieder auch für mich Profi überraschendes hervor): Selbst Profi-Informatiker ohne Medienkompetenz existieren.

Der Erwerb von Medienkompetenz ist m.E. am Besten in Fächern wie Geographie aufgehoben. Ich bin grosser Freund davon, diesen Unterricht auszubauen und die Junglinge anzuleiten z.B. darin, aus recherchierten Daten thematische Karten zu erstellen.

Genau das ist Platz für das Erlernen von kritischem Hinterfragen von Statistiken. Und für das Hinterfragen von Nachrichten aus den diversen Quellen. Und für das Umgehen mit widersprüchlichen Informationen.

Ein Informatik-Unterricht kann das nicht leisten.

Nachtrag: was hat der Bitkom damit zu tun

Der Bitkom Fachverband mischt sich immer wieder in dieses Thema. Was soll das? Welches Interesse steht da dahinter?

Ich weiss es nicht. Aber ich befürchte, dass der Bitkom sich davon verspricht, mehr Nachwuchs in die Informatik-Berufe (akademische wie Ausbildungsberufe) zu locken.

Sollte das der Fall sein: das geht nach hinten los! Denn Informatik ist entsetzlich dröge, grad wenn man das mit Chemie vergleicht: In der chemie zischt, brodelt, knallt oder stinkt es wenigstens noch gelegentlich, in der Informatik (grad bei den elementaren Grundlagen, wie sie in der Schule vermittelt werden können) geht es langweiligst zu.

Ich bin sicher, ein Pflicht-Fach Informatik würde eher Junglinge davon abschrecken, einen Informatik-Beruf zu ergreifen.


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Politik

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