Braut mit verwunderlichem Hochzeitsgeschenk

Feinverbasteltes Hochtechnikgerät:
Ein Selbstöffner (ohne echtes Schloss, Zeit war zu knapp, geht also auch manuell auf) als Verpackung für zwei Hochzeitsgeschenke.
Etwas "Leistungselektronik", etwas Mechanik, etwas klassische Laubsägearbeit und ein paar hundert Zeilen C-Code für den Atmega8 - schon öffnet sich die Kiste von selber, wenn man "SESAM" oder auch 77771331777712161 wählt.
Umlegen des Schalters vorn an der Lampe schliesst es dann wieder.

Hab ich selbst gemacht!

Irgendwie macht jeder von uns gelegentlich Dinge selbst, die er auch einfach kaufen könnte.
Es ist eben doch etwas anderes.
Irgendwie ist der selbstgestrickte Pullover wärmer, die selbstgeschweisste Anhängerdeichsel haltbarer, das selbstgezimmerte Hochbett bequemer als das gekaufte Zeug.
Und irgendwie hängt man an diesen Dingen dann auch weit mehr, als an irgendwie anonymer Masseware. Ist halt individueller.

Ich konnte in Kindertagen nie verstehen, wie mein Vater zu unserem Vieh so herzlos sein konnte. Ich hatte sie lieb, jede Kuh, jedes Schwein, jede Katze auf unserem Hof. Naja, die Ratten vielleicht nicht so.
Aber für den Profi-Landwirt ist das etwas anderes. Hängst Du an jedes Schwein, dass Du schon als Ferkel gekannt hast, dein Herz, dann wirst du Vegetarier oder bekloppt.
Als meine beste Freundin ihr Hobby (Landwirtschaft) zum zweiten Beruf machte, hatte ich grosse Sorge, ob das klappen könne. Sie hat es hinbekommen, wenn auch unter Tränen, denn oft genug hat es weh getan.

Mein Hobby aus Jugendtagen - 1981 hatte ich vom Basteln mit Röhren die Nase voll, nachdem mich schon zum zweiten Mal an diesem Tag die 200V Anodenspannung gebissen hatten und der Sender immer noch nicht vernünftig modulierbar war; ich stieg um auf Computers, da sind die bissigen Spannungen schön im Netzteil weggesperrt - habe ich dann später zum Beruf gemacht.
Und dabei ist einer der wohl schmerzhaftesten Schritte zur Professionalität der, zu erkennen, dass man eigentlich immer für die Tonne baut und dass die nächste Version die bessere ist.
Wenn dann zuviel Herzblut an einer Sache hängt, wird man bekloppt.

Auch ich musste lernen, dass man immer wieder von vorn anfangen muss und dass erste Entwürfe fast nie passen. Der durchschnittliche amerikanische Ingenieur scheint mir da schmerzbefreiter: erstmal verkaufen, dann verbessern, zuviel Nachdenken schadet nur.

Da ich selbst schon programmiert hatte und selbst gespürt hatte, wie weh es tut, sich von einem eigenen Konstrukt zu verabschieden, war ich in meiner langjährigen Rolle als Tester und Qualitätssicherer vielleicht besser als der sadistische Quality Tester aus den Dilbert-Cartoons, der nur seinen Sadismus auslebt.
Aber vielleicht kann ich auch gerade deshalb so gut erkennen, wenn jemand in sein Konstrukt so verliebt ist, dass er blind ist für die Realität.
Und die muss gar nicht „alles Mist“ sein sondern nur ein „könnte man besser machen“ - es tut immer noch weh, das zu hören zu bekommen.

Bei den Piraten habe ich gerade das Gefühl, dass es eine Reihe von Tool-Verliebten Anhängern von Liquid Feedback gibt. Kritik ist da verboten, Verbesserungsvorschläge nicht erwünscht, weil a priori nicht nötig: alles ist ja fertig und perfekt, seit es Liquid Feedback gibt.

Mal abgesehen davon, dass wir das ort „Liquid“ und auch die Anglizismen da loswerden müssen - ich wiederhole mich da - halte ich viel von dem Ansatz, die Demokratie direkter zu machen und zu entbündeln. Nachdem ich die ersten Dezembertage (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7) vor allem mit Demokratie im allgemeinen, geschichtlichen und im Verhältnis zu den Piraten befasst habe, habe ich mich ab 10. Dezember mehr mit Basisdemokratie und dem Ansatz, den ich gern flexible Demokratie nennen würde, weil er ja von der Liquid Democracy Lehre abgekoppelt sein soll: er soll nicht theoretisch bleiben sondern praktisch umgesetzt werden, was eine Abkopplung darstellt.

Ich habe viel über Liquid nachgedacht und fand und finde die Idee prima.
Wirklich gut.
Zielführend, vielversprechend und richtungsweisend sind ebenfalls Attribute, die mir in den Sinn kommen.
Aber „fertig implementiert“ kommt mir nicht in den Sinn, sorry.

Ich will gar nicht die Leistung schmälern, die die Konstrukteure mit der aktuellen LF-Implementation hingelegt haben.
Und nicht nur die Software, auch die Überlegungen dahinter, die Festlegung, was man realisiert, was man eben nicht macht, da steckt viel Arbeit darin. Gute Arbeit.

Und daher ist es ja so jammerschade, dass ich verlangen muss, dass wir alle darüber nachdenken, was danach kommt.
Wie soll das System aussehen, das Liquid Feedback ersetzt?
Soll - kann es überhaupt - in Evolutionsschritten aus LF hervorgehen oder muss es als neu konzipierter Ansatz entstehen?
Von dem „wann denn bitte“ oder „wer soll das bezahlen“ sehen wir hier mal grosszügig ab - diese Fragen kommen schnell genug und von ganz alleine. Leider.
Das heisst, genau genommen sind sie schon da: ein Grund, warum wir LF nach gewissen Einzelmeinungen als perfekt zu betrachten haben, ist, dass es eben von Freiwilligen ohne Bezahlung erstellt ist und dass daher keine Ansprüche gestellt werden dürfen.

Aber diesen Ansatz halte ich für grundfalsch.
Wenn wir nicht höhere Ansprüche an unsere technische Infrastruktur zur Herstellung flexibler Demokratie und an ihren theoretischen Unterbau stellen als wir sie an das aktuelle LF stellen, dann wird es uns Piraten nicht gelingen, flexible Demokratie in den Mainstream - sprich in die Gemeindesatzungen und Landesverfassungen - zu tragen.

Aber da will ich damit hin.
Da gehört das hin, nicht in einen Landesverband einer Partei, es muss in die Verfassungen der deutschen Länder.
Das Grundgesetz müssen wir m.E. dabei nicht mehr anvisieren, denn bis wir flexible Demokratie so weit perfektioniert haben, dass sie auf der Bundesebene eingeführt werden könnte, steht für Deutschland höchstwahrscheinlich der Anschluss an den europäischen Staat an.
Diesen können wir also gleich von Anfang an vernünftig demokratisch aufbauen helfen.

Eine Technik-Verliebtheit und eine Methoden-Verliebtheit sind dabei nicht hilfreich, sie sind kontraproduktiv.
Nein, das steht nicht im Widerspruch zu meiner Forderung, Piraten sollten mit Leidenschaft und Vernunft an die Politik gehen: Technokratie ist keine Leidenschaft genau wie Bürokratie keine ist.
Und das ist nicht nur eine Image-Frage, ob wir technik-verliebt erscheinen oder nicht.
Man kann Technik nicht lieben.
Sonst kann man sie nicht kreativ zerstören - also auch nicht vorankommen.

[Update] Wenn ich das nochmal durchlese, dann stelle ich fest: ich bleibe im Grunde dabei: wir müssen über das, was nach dem heutigen kommt, nachdenken.
Und wir müssen die Grenzen er Tools, die wir verwenden, besser definieren und kennenlernen. Daher ist es gut, dass wir LF im täglichen Betrieb schon einsetzen und so Erfahrung sammeln können, statt nur zu diskutieren.
Dass dabei immer wieder noobs neu dazukommen ist sicher Stress für die Vordenker und LF-Macher.
Sorry, guys and gals, aber das kann Euch keiner ersparen, das wird immer so sein.
So notwendig wie die Transparez in LF ist es, dass Ihr immer wieder noobs wie mir das System erklärt, egal, wie ermüdend das ist. „RTFM“ und „read the FAQ“ reichen nicht aus.
Aber ich - mea maxima culpa - ich habe meinen aktuellen Grad an Informiertheit überschätzt: ich muss doch noch etwas grinden und so noch ein paar Punkte XP sammeln.


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Politik

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