Die Entscheidung ist keine 20 Minuten alt

Und schon setzt die Reue ein.
Fuck!

Aber wenn ich mir das genauer ansehe, dann war die Entscheidung zwangsläufig.

An sich will ich weiter kandidieren, denn ich will auch weiter die Piratenpolitik machen.
Ich bin auch weiterhin bereit, das Commitment abzugeben, das ich von allen Kandidaten für das Berliner Abgeordnetenhaus fordere: wenn ich gewählt werde, dann diene ich 5 Jahre.
Die ganzen 5 Jahre, mit vollem Einsatz.
Kein Schielen nach dem Bundestag.
Kein Nebenjob.
Vielleicht noch ein Parteiamt, das sich im Nebenberuf machen lässt (Richter am BSG ist zwar ne Menge zu tun, aber auch für Feierabendrichter zumutbar).

Ich bin noch immer bereit, so ein Versprechen abzugeben.
Ich traue mir immer noch zu, so ein Versprechen zu halten.

(Diese Sätze zusammen sind eine Tautologie, so wie ich Versprechen verstehe.
Ein klassischer Vorwurf an die etablierte Politik lautet ja, dass nur das gebrochene Wort gilt. Das darf bei den Piraten nicht so sein.)

Aber ich bin nicht in der Lage, einen Wahlkampf durchzustehen, wie er sich nach der heutigen Sitzung klar vor mir abzeichnet.

Mein Vorschlag, wie das anders gehen könnte, war möglicherweise in der Tat radikal.

Ich bin der Meinung, der Wahlkampf in Berlin braucht ein Arschloch.
Nicht nur einen, der die Arschkarte hat - den braucht‘s auch - sondern ein Arschloch. Einen Chef.

Einen Chef.
Genau einen Chef.

Einen Chef.
Nicht einen Squad, nicht eine AG/IG/TG, einen Chef.

Im Prinzip nur jemanden, der zwei Dinge protokolliert
* was ist zu tun?
* wer tut es?
Und dann natürlich auch das „hat sie/er es getan?“. Wenn nein, kommt der Task wieder auf die Todo-Liste.

So eine Person braucht Arschloch-Qualitäten, Chef eben.

Ich bin schon Chef gewesen.
Heck, in Dubai habe ich das Tech-Personal der Dubai Internet City rumkommandiert (immerhin 15 Leute) und schon nach 2 Monaten haben selbst die anderen Direktoren vor mir gekuscht: Wenn ich nur das Wort erhob, war Ruhe im Meetingraum.

Oh Glory Days!
Aber alles vorbei: der Stress gegen Projektende hat mich an den Rand des Wahnsinns gebracht - einfach weil ich damals nicht wusste, was ich heute weiss: Araber verhandeln über der Preis final erst bei der Warenübergabe. Immer.
Ist Tradition.
Was wie ein Vertrag für uns Ungläubige aussieht, ist mehr ein Letter of Intent, eine Absichtserklärung. Verhandelbar.
Bei Übergabe.
Und bei den Nachverhandlungen sind persönliche Beleidigungen, die selbst Veteranen aus den 80er-Jahre-Usenet-Flamewars noch nicht erlebt haben, völlig normal.
Tradition.
Nichts persönliches.
Fühlt sich aber sehr persönlich an, wenn man aus einem Kulturkreis kommt, der z.B. „pacta sunt servanda“ zur Grundlage hat.

Jedenfalls scheue ich seither Verantwortung.
Ja! Das ist ein #fail der allerfeinsten Auslese-Sorte.
Und heute bin ich schon wieder davongerannt.
Ich Idiot?

Ja, in der Tat, Idiot - im Wortsinne.
Das deutsche Lehnwort kommt vom griechischen ιδιωτος.
Diese Wort steht zu πολιτικος (politikos) im Gegensatz so wie heiss zu kalt.
„politikos“ ist die Eigenschaft vom einem, der sich um das Gemeinwohl kümmert und seine Arbeit in diesen Dienst stellt.
Siehe auch in meinen Piratenselbstfindungsseiten an dieser Stelle. Und anderen, vermutlich.
Der Mensch, der ιδιωτος genannt wird, kümmert sich zuallererst um sich selbst.
Genau das habe ich heute getan: ich habe Selbstschutz vor Fremdschutz gesetzt.
Das ist eine in Stein gemeisselte, in Bronze gegossene und immer wieder jedem freiwilligen Feuerwehrmann eingehämmerte Regel: Selbstschutz geht vor Rettung anderer. Immer.

Ich habe das heute beherzigt und bereue es schon und muss doch zu meiner Entscheidung stehen.
Denn echte Piraten stehen eben auch zu ihren Fehlern.

12-Nov-2010
hase

PS: ich habe bei den Berliner Piraten tolle Leute kennengelernt und Leute, die überschätzt werden.
Bin sehr gespannt, ob die Piraten meine Einschätzung irgendwann teilen werden.


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Politik