Die macht wieder fit für den Alltag. Ich hatte grad einen prima Urlaub. Etwas weniger Regen wäre cool gewesen (bzw. eben wärmer - bibber). Also: für mich, nicht für die Landwirtschaft, die das Wasser von oben dringend gebraucht hat. Rund 2100 km bin ich über Landstrassen gezuppelt. Odenwald, Spessart, Bergisches Land, Eifel, Türinger Wald, Harz, Börde, Fläming - von der Brenz an den Rhein und dann zurück ans heimische Gestade der Spree. Einfach herrlich. Tolle Landschaften, tolle Kurven und dank moderner Schutzkleidung ist auch der Regen wirklich halb so schlimm; ehrlich gesagt: der Epinephrin-Schock, wenn das Hinterrad auf einem nassen Bitumen-Flicken kurz die Haftung verliert um daneben auf dem echten Asphalt dann wieder Grip zu bekommen ist eigentlich ganz lustig. Also, wenn man überlebt.

Auf gut ausgebauten Landstrassen - ja, auch ein paar Katzenkopfpflasterabschnitte waren dabei, die noch aus der Römerzeit zu stammen schienen, aber im ganzen ist das Strassennetz in Deutschland doch phantastisch sowohl im früheren „Westen“ wie auch im Beitrittsgebiet - hetzte ich eingepackt in wasserdichtes aber (solange trocken) atmungsaktives High-Tech-Material die Vierzylinder mit einer mittleren Geschwindigkeit von 17,1 Metern je Sekunde durch die Landschaften. Und kam so ins Grübeln: ca. 350 bis 400 km bin ich am Tag gefahren. Eine römische Legion ist ca. 20 Meilen je Tag, also knapp 30 km, marschiert; klingt nicht nach viel, aber mit Abbruch des Lagers und aufschlagen des neuen Lagers am Ziel (vallum fossaque also mit Wall und Graben gesichert) ist das schon eine Menge. Wow. 10 Tagesreisen in ca. 8 Stunden (Pausen für dee Beene und den Durst des raubkatzenhaften Reitgeräts eingerechnet). Was für eine Zeit.

Überhaupt in was für einer Zeit lebe ich eigentlich?

  • Klamotten wasserdicht, leicht aber warm, und mit Protektoren gegen Sturzverletzung
  • das Navi am Lenker zeigt, das Bluetooth-Headset sagt, wo es langgeht
  • eine komplette Bibliothek und Plattensammlung (Heck: ich konnte für den Genuss von Beethoven zwischen der Karajan- und der Bernstein-Aufnahme wählen!) für die Abende auf dem Tablet-Computer dabei
  • eine kompakte, stabile Trinkblase in der dafür vorgesehenen Jackentasche mit Schlauchsystem verhindert Konzentrationsschwächen aufgrund Dehydration - während die Katze in heftiger Schräglage mit 25 m/s durch eine „Fahrbahnverschwenkung“ (amtsdeutsch für Kurve) schnurt
  • Asphalt-Strassen hatte ich schon erwähnt; in Long Way Round erlebt man, wie Ewan McGregor ein Stück Asphaltstrasse in der Mongolischen Republik küsst - nach ein paar tausend km Dreckpiste
  • nur zweimal in den 5 Tagen verlor mein mobiler Fernsprechapparat den Kontakt zum Funknetz. Also hätte ich egal wo ich auffe Frr*** gefallen wäre hätte ich den RTW und den Abschlepper hätte rufen können
  • Unterkunft ist überall zu finden. Mit Luxus im Quadrat: saubere Betten, saubere Umgebung, fliessend Wasser. Warm!

Überhaupt Unterkunft. Damals, als Mum, meine beiden Brüder und ich auf Fahrradtouren waren - Familienurlaub in einkommensfernen Schichten musste billig sein - dann fuhren wir von Jugendherberge zu Jugendherberge. Das war eine wichtige Zeit, sportlicherseits (auf der ersten Tour habe ich meinen jüngeren Bruder auf dem Kindersitz kutschiert) und vor allem in Hinblick auf meine Sozialisierung: eine JH ist eben kein Hotel, da muss man z.B. Zimmer selber so hinterlassen, wie man sie vorfinden will. Vor allem waren Jugendherbergen früher mal die (vom Zelt abgesehen, kam aber nicht in Frage) die finanziell preisgünstigste Variante, über Nacht unterzukommen. Teilweise sogar mit Privatsphäre und warmem Wasser. Heutzutage ist das nicht mehr der Fall: ich habe auf der Tour 35 Euro für eine Nacht in der JH bezahlt aber in einer Biker-Pension nur 30, und das bei gleichem Komfort. Ich mag aber trotzdem die JHs. Nutze sie immer wieder gern. Denn da trifft man Leute, wohnt mit denen zusammen. Selbst wenn es nur ein, zwei Nächte sind, man ist in Gemeinschaft. Im Hotel dagegen lebt man nebeneinander her.

Was ein schönes Bild ist für die Gesellschaft im allgemeinen. Da gibt es die Menschen, die nebeneinander her leben wollen. Echt jetzt: die wollen nicht miteinander zusammenleben, die wollen nur nebeneinander her leben. Die Kommunikationsstruktur ist die die des Marktes. Die Marktteilnehmer interagieren sehr kurzzeitig: man trifft sich im Laden oder am Marktstand, die Ware wird betrachtet, es wird gefeilscht (Methoden sind verschieden, aber im Grundsatz ähnlich) dann entsteht ein Preis und dann wird Ware gegen Geld getauscht. Danach gehen beide auseinander und treffen sich idR. nicht wieder. Sie werden einwenden: aber es gibt Stammkunden, es gibt Garantiefälle und da treffen sich Käufer und Verkäufer wieder. Das stimmt zwar, aber die überwiegende Zahl der Transaktionen ist kurz und einmalig - so habe ich sie in meiner Zeit als Verkäufer (damals, in Studententagen - ich war jung und brauchte das Geld) selbst erlebt.

Im Wirtschaftsleben erscheint uns alles mögliche vorhersag- und kontrollierbar. Im Vertrieb wird jedes Quartal der forecast aufgestellt und simuliert Vorhersagbarkeit, ein Projektplan weiss genau, wann ich mit der nächsten Firmware fertig bin und wann ich diesem blöden Audioverstärker endlich das Pfeifen aberzogen haben werde. Alle unter Kontrolle, steht ja im Projektplan. So kontrollierbar, planbar, vorhersagbar ist das Leben. Kennt man ja.

Unser Wirtschaftssystem lehrt uns nicht nur, dass alles kontrollier- vorhersagbar- oder zumindest versicherbar ist, wir lernen auch, dass wir alles immer und immer wieder optimieren müssen. Weniger als perfekt ist eben nichts wert - nicht wahr? Wenn ein Unternehmen solide finanziert ist, solide Umsätze macht und Gewinne ausweist: das reicht nicht. Es muss „schneller wachsen als der Markt“, sonst wird ein Analyst sich besorgt zeigen, ob es auch zukunftsfähig ist - und schon platzt die Finanzierung, die Aktie stürzt aber oder schlimmeres.

Die Idee ist dabei, dass die Transaktionen fair sind. Die Fairness ist ja wichtig. Leistung gegen Gegenleistung. Fair. So entsteht Gerechtigkeit. Kennt man ja.

In so einer Welt ist kein Platz für Gnade. „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen“. Klare Ansage. Fair. Und unmenschlich. Denn damit wäre jeder alte, jeder behinderte, ja jeder kranke Mensch mit dem Gipsarm ganz selbstverständlich Kandidaten fürs Verhungern. Fair. Und eben ohne jede Gnade. Gnadenlos.

Ich habe schon Paare erlebt, die ihre Ehe als faires Geschäft aufgezogen haben. Liebe? Was für ein veraltetes Konzept. In unserer Zeit. Veraltet, altmodisch, nutzlos. Unfair. Nicht mehr zeitgemäss.

Markt, Wachstum, Geld: Fair.

Grummel, worüber man so alles nachdenken kann, wenn man so im Wald über nasse Serpentinen kurvt.

Was ich eigentlich sagen wollte: irgendwie geht es uns doch gut. Also, so richtig gut. Das Jammern in Deutschland ist irgendwie Jammern auf hohem, wenn nicht höchstem Niveau. Vielleicht sollte ich eines Tages diese Tour der letzten Woche noch einmal machen. Aber dann eventuell zu Fuss. Das wäre sicher eine gute Lektion in Demut und Kontakt zur Geschichte unseres Kontinents.

Aber auf der K macht‘s mehr Spass :-)


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