Magische Zauberformel

Grad mal wieder heise gelesen. Muss dazu was sagen

Also, "Vectoring" ist das neue Zaubermittel. Die meissten Leser setzen das vermutlich schon ein - nennen es aber MiMo oder Spatial Streams oder so ähnlich. Und eben nicht auf Kabeln sondern im WLAN.

Als DSL damals aufkam und als Technik diskutiert wurde, da haben alte Telefonfritzen wie ich aus dem Bauch ras gesagt: dit jeeht nich, ditte kann jaa nich jeeehn.

Geht doch haben andere entgegengehalten - und beide hatten recht.

Etwas Physik zwischendurch. Die Technik der symmetrischen Leitungen wird z.B. bei den Hub-and-Spoke-Varianten von Ethernet eingesetzt: Cat3..Cat6 Kabel mit Twisted Pairs kommen zum Einsatz.

Physikalisch erstmal recht plausibel: wenn man ein Signal auf eine Leitung schickt, dann wird die Leitung zur Antenne und sendet. (Das gilt übrigens für jede Frequenz >0) Wenn man eine zweite Leitung gleich daneben legt und das genau entgegengesetzte Signal da drauf legt, dann sendet die auch, nur halt genau entgegengesetzt.

Diese beiden Aussendungen löschen sich nun aus, die Gesamtanordnung ist also strahlungsfrei.

Höchstens in "nächster Nähe" zu dem Leitungspaar, also wo der Abstand des Beobachtungspunktes zu jeder Leitung deutlich verschieden ist - eine Leitung ist signifikant weiter weg als die andere - ist noch eine Störabstrahung feststellbar: die eine Aussendung ist schwächer (weil von weiter weg kommend) als die andere, es bleibt also ein Rest übrig. Die beiden Leitungen zu verdrillen, also umeinander zu wickeln, minimiert diesen Effekt (und noch einen anderen störenden Effekt, den wir hier weglassen).

Minimiert ist schonmal gut, ganz beseitigen wäre besser.

In einem Leitungsbündel liegen aber alle Leitungspaare genau da, wo noch Störungen messbar sind: direkt nebeneinander. Das Signal auf Leitungspaar 1 stört also das Signal auf Leitungspaar 2.

Aus Sicht des Empfängers von Paar2 ist diese Störung Teil des Rauschens. Rauschen hat verschiedene Quellen, die addieren sich (jede zusätzliche Quelle fügt mehr Rauschpegel hinzu) und damit kann man leben, solange der Rauschpegel kleiner als der Signalpegel ist, man also 0 und 1 noch sauber vom Rauschen und voneinander unterscheiden kann.

Der Witz ist aber: es ist eben kein Rauschen. Denn die Quelle dieser Störung ist ja nicht die übliche Rauschquelle (thermische, rein zufällige Bewegung der "Dinge" im Kristallgitter) sondern dieser Anteil des Gesamt-Rauschpegels ist ja Teil eines Signals, einer kontrollierbaren Abstrahlung.

Nach dieser Betrachtungsweise ist das Signal auf Paar2 also einfach das Summensignal dessen, womit Sender1 und Sender2 auf Paar2 einwirken. Sender2 speist direkt in Paar2 ein, sendet also unmittelbar dort. Sender1 speist indirekt auf Paar2 - halt über den Effekt, der "Übersprechen" (engl. crosstalk) genannt wird. Indirekt gesendet ist aber immer noch "gesendet". Also kontrolliert. Aber gedämpft um den Faktor D[1-2] (Dämpfung, mit der das Signal1 auf Paar2 einwirkt)

Der Trick beim Vectoring ist jetzt, die Aussendung auf beiden Sendern so zu modifizieren, dass auf Paar1 und Paar2 als jeweiliges Summensignal genau das rauskommt, was man rauskommen haben will. Von vorn - aus einer anderen Sicht. Klassisch sendet Sender1 das Signal, das Empfänger1 erhalten soll auf Paar1. Sender2 macht analog das gleiche auf Paar2 für Empfänger2. Beide arbeiten völlig unabhängig, jeder sendet sein Zeug.

Beim Vectoring dagegen betrachtet man alle Sender als Array. Man berechnet zunächst, was in diesem Moment alle angeschlossenen Empfänger auf ihren jeweiligen Leitungen sehen sollen. (wir vernachlässigen mal die Laufzeiten auf den Kabeln, die bei ca. 6 Nanosekunden-pro-Meter liegen; die DSLAMs vernachlässigen das nicht). Also: für alle Empfänger n rechnen wir aus, was da auf der Leitung grad ankommen soll.

Dieses Signal ist die Summe aus dem, was Sender n schickt plus D[1-n] * S1 plus D[2-n] * S2 und so weiter: die Summe aus allen (Signal * Dämpfung), die losgeschickt werden.

Für ein Leitungbündel mit 2 Leitungspaaren gibt das ein übersichtliches Gleichungssystem: 2 Gleichungen, überschaubar wenige Variablen.

Für ein Leitungsbündel mit 50 Paaren oder 100 Paaren wird das auf Papier schnell unübersichtlich, für einen Prozessor ist das jedoch durchaus simpel handhabbar.

Der Prozessor im DSLAM macht einfach genau diese Rechnug auf. Aus allen gewünschten Signalpegeln an allen Leitungsenden und den - irgendwann mal gemessenen und gemerkten - Dämpfungsfaktoren berechnet er das Signal, das auf alle Sender zu legen ist, damit genau die gewünschten Signale hinten rauskommen.

Bingo! Das Übersprechen ist damit keine Störquelle mehr. (Besser noch: diese gezielte Nutzung des Übersprechens verringert insgesamt die notwendige Sendeleistung).

Genau das reduziert nun den Rauschpegel und ermöglicht so schon mal höhere Datenraten. Ein weiterer Effekt ist, dass man so auch höhere Sendefrequenzen nutzen kann.

Crosstalk ist frequenzabhängig und grad die höhere Frequenzen werden dadurch "vergiftet". Wenn das Gift aber beseitigt ist, dann werden diese Trägerfrequenzen nutzbar. Mehr Trägerfrequenzen - mehr Daten gleichzeitig - mehr Gesamtbandbreite.

Das alles geht natürlich nur, wenn man alle Empfängersignale kennt - also all das, was alle Empfänger, die an diesem Leitungsbündel hängen, bekommen sollen. Denn aus diesen Empfangssignalen werden ja die Sendesignale berechnet (siehe oben).

Jetzt die Frage, ob das eine "Remonopolisierung" durch die Telekom ist.

Ist es nicht. (?) Besser: müsste es nicht sein!

Wenn man eben vernünftig regulierte: die Telekom müsste halt die so betriebenen Empfänger-Punkte an Interessenten vermieten müssen statt "Kupferdoppeladern".

Das würde die Telekom natürlich als "Investitionshindernis" betrachten und beschreiben: "buhuuu, wir armen, wir müssen bezahlen und jemand anders hat dann den Nutzen davon! Buhuuu!". Dass der "Andere" auch dafür bezahlt, wird bei der "Argumentation" gerne übersehen.

Klar, das ist alles nicht sooo einfach. Ein paar Kinder sind schon in diverse Brunnen gefallen bei der ganzen Telekomik-Privatisierung. Und das baden wir jetzt aus.

Es wäre sicherlich besser gewesen, die von der Gemeinschaft (der „Teilnehmer im öffentlich-rechtlichen Telefonnetz“ sowie dem Steuerzahler; die Post war ja ein Amt) bezahlte Infrastruktur einfach als gesellschaftliches Eigentum zu belassen. Das Konzept des gesellschaftlichen Eigentums hatte durch den Kalten Krieg und das Volkseigentum in der DDR sicher einen blöden Beigeschmack. Aber irgendwie nicht blöder las der Beigeschmack, den Privateigentum an lebensnotwendigen oder zumindestlebensstandardnotwendigen Infrastrukturen durch die Neolib-Formel „Gewinn privat, Verlust zahlt der Steuerzahler“ bekommt.

Amelia Andersdotter (Schweden, EU-Parlament) hat die Telekommunikationsthematik als einen ihrer Arbeitsschwerpunkte gewählt. Ich habe die Ehre, sie gelegentlich über Technik (ähnlich wie oben) und die Situation in Deutschland informieren zu dürfen, Amelia setzt mich dann immer wieder ins Bild über die Situation in anderen EU-Ländern (schwerpunktmässig immer die, wo sie grad ihre Wohnungen hat :-) Belgien, Rumänien, Schweden... :-)).

Die TK-Privatisierung und -Regulierung sind für mich eine Art Geisterbahn. Das gibt so einen schönen, erträglichen Grusel-Pegel.

Erträglich, wenn man sich mal daran gewöhnt hat, denn im Prinzip ist das alles "total Horror-Schow" (Zitat nach Figur 'Alex' in 'A Clockwork Orange' von Stanley Kubrick).

Könnte man aufräumen. Wenn man denn Politiker hätte, die - das zu Gunsten der Allgemeinheit geregelt sehen wollen - auf Firmeninteressen pfeifen - genug von der technischen Seite verstehen

Wenigstens eine von der Sorte haben wir. Daher an dieser Stelle wieder mal ein herzliches und <3 an eine der beeindruckendsden Frauen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte.


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Politik