Vorder- und Hintertüren

Kaum haben es die Piraten und ihre Freunde erreicht, dass Deutschland dem Blödsinn von Websperren noch einmal knapp entgangen ist, da wird über die beliebte EU-Hintertür das Ding wieder eingekippt.
Wir lesen bei heise wieder mal, wie das geht. Besonders schön ist auch zu beobachten, wie der Vorschlag gegen die zu erwartende Kritik abgesichert wird.

Zunächst wird also das Argument, dass eine Zensurmassnahme die Meinungsfreiheit einschränkt, angegangen. „Es geht nicht um Meinungsfreiheit“. In der Tat: Meinungsfreiheit ist in einer Bürokratie - einer Entartungsform der Demokratie, die Cicero (gegen Ende der Seite) nicht auf dem Radar hatte - eher hinderlich. Daher kann es darum nicht gehen, es geht um die armen Kinder.

Dabei missachtet Frau Malmström geflissentlich, dass die Kinder, die auf den fraglichen Bildern abgebildet sind, zum Zeitpunkt der Sperre bereits missbraucht sind. Mit grossen Kinderaugen für eine Sperre zu werben ist daher unredlich, denn die Kinder werden durch die Sperren eben nicht geschützt.
Im Gegenteil: das wegfiltern macht ein Blühen im Verborgenen noch eher möglich, würde tendenziell den Missbrauch eher steigern als behindern. So jedenfalls denke ich, der ich die Technik hinter dem Internet etwas genauer kenne, als der Durchschnitt. Auch denke ich, dass der MOGIS e.V. Ausdruck einer ähnlichen Befürchtung ist.

Aber besonders schön ist, wie sich Frau Malmström gegen Erkenntnisgewinn immunisiert.
Eine Impfung dagegen gibt es nicht, man muss wie bei HIV vorgehen, will man sich nicht anstecken: Fernhalten.
Weit weg.
Jeden Kontakt vermeiden.
Daher wird das Thema schön an die Mitgliedsstaaten delegiert: das ist dann weit genug weg, um verwirrende Fakten von den Hirnen, die Zensur-Ideen ausbrüten, fernzuhalten.

Ein Fakt ist, dass Kinderpornographie eben nicht nur über Websites verteilt wird. Daneben sind Verbreitungswege wie eMail, ftp, nntp, Brief- oder Paketpost völlig üblich. Gerade im Contraband-for-Money Zweig der Verbreitung ist der Postweg gern genutzt.
Beweise dafür? Brauche ich nicht. Die Vermutung und die Möglichkeit zusammen reichen als Beweis doch völlig aus - wieso sollte mir nicht billig sein, was Regierungsmitgliedern recht ist?

In der Tat ist die Kommunikation über Computer gefühlsmässig anders als im Personenkontakt. Die Hemmschwellen für Beleidigungen sind erheblich niedriger und schon die psychologischen Untersuchungen zu den flame wars im Usenet (damals in den 80ern) haben das gezeigt.
Auch die Hemmschwellen, sich illegales Material zu verschaffen und gezielt danach zu suchen, dürften daher geringer sein, wenn ein Computer in der Kommunikationskette liegt, die Kommunikation also tastatur-textuell erfolgt.
Und Websites sind eventuell ein Anlaufpunkt - aber eben nicht der Hauptweg.

Aber zurück zur Delegation der Verantwortung.
Frau Malmström macht es sich schön leicht: Details überlässt sie den Mitgliedsstaaten und daher muss sie sich auch nicht damit auseinandersetzen, dass eine Zensur entweder wirkungslos verpuffen muss oder nicht kompatibel mit der Meinungsfreiheit umgesetzt werden kann.

Die Zensursula-Gesetze hätten wirken können. Aber eben nicht freiheitskompatibel: eine geheime Zensurliste, kein rechtstaatliches Einspruchverfahren, Neben- und Querwirkungen ohne Ende, so etwas geht gar nicht.
Der JMdStV in seiner jüngsten Iteration is an sich schon freiheitskompatibel: die von Sperren Betroffenen werden informiert, erhalten eine Einspruchsmöglichkeit und die Sperrlisten sind nicht geheim. Auch das Zustandekommen einer Sperrverfügung ist erheblich rechtstaatlicher geregelt als bei Zensursula.
Aber diese Massnahmen müssen wirkungslos verpuffen, etwas anderes ist nicht vorstellbar.

Knackpunkt ist, dass das Herstellen einer Sperre ein manueller Vorgang ist, während das Ausweichen vor der Sperre automatisiert werden kann.
Dieses Rennen zwischen Amtmann und perl-Script kann der Amtmann nicht gewinnen.
Aber solange sich die Beamten ebenfalls gegen Erkenntnis impfen lassen, werden sie das nicht ohne weiteres erkennen; nochmal zur Klarheit: es ist nicht das aus der Fabel bekannte Rennen zwischen Hase und Igel, bei dem der Igel und die Igelin mogeln um einen Sieg vorzutäuschen. Der Beamte mit seinem Spaten tritt gegen eines dieser Monster an und will bei der täglichen Aushubmenge noch vorn liegen?

Gegen den programmierten Fail wappnet sich Frau Malmström sehr schön: ist ja nicht ihr Fehler, wenn die Mitgliedsstaaten das nicht gut genug umsetzen.
Dass es nicht umgesetzt werden kann, darf ihr dann wirklich egal sein; so wie die Meinungsfreiheit.

Wertung: Bäh!


Published

Category

Politik

Tags