Die Fragen werden lauter

Aber die Interessen sind eben immer noch unlauter.
Das schafft Raum für die Piraten, wir müssen da wohl „zeitnah“ mal ran.

Das Wort „unlauter“ ist ja sehr beliebt.
Wir alle kennen unlauteren Wettbewerb: eine Angabe wie 164 PS bei einem Verbrennungsmotor oder ein Werben für eine 3,5-Zoll-Festplatte sind offenbar unlauter: das sind ein 120 kW bzw. eine 8,89cm-Festplatte. So muss das sein.

Nach einer gängigen Theorie des Marktes ist kein Gewinninteresse unlauter: Gewinnstreben unter allen Umständen wird als treibende und konstruktive Kraft umdefiniert. So gesehen ist nur der ein tüchtiger Geschäftsmann, der in Euro und Dollar nicht fassbare Werte wie Moral, Anstand, Kultur oder Mitgefühl komplett ignoriert.
Wohin so eine Haltung letztlich führt, sehen wir täglich beim Blick in die Wirtschaft (nein, ich meine nicht nicht Kneipe). Medikamente für eine seltene Krankheit werden da eben nicht entwickelt, lieber ein neues Erkältungsmittelchen, das die Parteitagsgrippe von 2 Wochen auf 14 Tage verkürzt...

Komplett verrückt - also verschoben, aus der Balance, neben der Spur - ist aktuell der Gesamtkomplex, der mit Urheberrecht nur unzureichend umrissen ist.
In der Gesamtgemengelage sind viel mehr Einflüsse miteinander verflochten, u.a. Medienrecht, Jugendschutz, Verrtagsrecht, Gewohnheiten und Gewohnheitsrechte.
Ausserdem treffen auch noch internationale Unterschiede der Wertvorstellungen aufeinander. So ist in den USA das Recht, Kopien zu erstellen (Copy und Right) stärker im Fokus der Rechtsnormen, bei uns zu hause stellt das Persönlichkeitsrecht (zu dem nebenbei auch Privatsphäre und ähnliche Rechte gehören) eine wichtige Wurzel des Urheberrechtes, denn ein Werk eines Urhebers ist immer Ausfluss seiner Persönlichkeit.

Seit 2 bis 3 Jahrzehnten kommen nun zwei wichtige Einflüsse zusätzlich ins Spiel und bringen den Kessel mächtig zum Kochen.

Der Sündenfall: Urheberrecht für Computerprogramme

Wann genau ist es eigentlich passiert?
Ich kann es nicht mehr recht verorten, erinnere mich aber an Diskussionen von Fällen aus den 80er Jahren.
Hintergrund war, dass Händler (wie z.D. DiPa Computer in Berlin) ganz unverblümt zwei Varianten von WordStar im Angebot hatten: das Original, mit Kiste und Handbüchern sowie die bei DiPa im Keller angefertigten Kopien bestehend aus zwei Non-Name Disketten und einer Plastiktüte.
„Häh? Für den Preis bekommen Sie nirgends ein Original“.

Zunächst sah es so aus, als könne man das nicht verurteilen, denn es gab kein Gesetz, das Computerprogramme explizit schützte.
Und analoge Anwendung ist im Strafrecht verboten - egal wie viel an diesem Grundsatz immer wieder genagt wird.

Die Einstufung eines Computerprogrammes als „Textwerk“ und damit analog zu einem Gedicht, einem Gedichtband oder einem Roman, erlaubte dann die Kriminalisierung der Kopien von Programmen.

Anfangs hat sich dabei noch die Analogie zum Textwerk gehalten, aber Bauchschmerzen hatten auch damals die an der öffentlichen Diskussion Beteiligten - jedenfalls wenn mich mein Gedächtnis grad nicht täuscht (kennt jemand eine Online-Quelle?).

Auch den Erschöpfungsgrundsatz des Urheberrechtes halten die deutschen Gerichte eisern aufrecht: einmal in Verkehr gebracht kann der Urheber ein Exemplar seines Werkes nicht mehr kontrollieren oder einschränken.

Er hat allein das Recht, Kopien herzustellen, aber er kann nicht vorschreiben, wie damit verfahren wird.
Er kann nicht vorschreiben, mit welchen Lampen das Buch beim Lesen beleuchtet werden darf, er darf es nicht an Orte binden, darf auch den Weiterverkauf nicht einschränken.

Aber die aktuelle Rechtslage ändert das: das Ablaufen lassen eines Programmes ist eine urheberrechtliche Verwertungshandlung wie das Kopieren - so definiert es das Gesetz.

Das ist zwar Unfug und führt in der Konsequenz zu mehr Unfug, ist aber Gesetz.

Die Neuerung: ubiquitäre Kommunikation

Naja, zugegeben, so ganz neu ist das Telefon nicht mehr, und Marconis Versuche, ohne Draht Signale zu übertragen sind auch schon vor einiger Zeit erfolgreich gewesen.

Dennoch seit dem Fernsehen kaum eine Erfindung in der Kommunikation revolutionär gewesen, manch einer sieht sogar das Fernsehen als evolutionäre Erweiterung des Radios an.

Aber das Zusammenfliessen von ein paar zunächst isolierten Ideen wie
- single-User-Computer
- Maschine-Maschine-Kommunikation
- IP
- Drahtlose Kommunikation als Massenware
hat letztlich zu etwas geführt, das insgesamt neu ist, neue Grenzen zieht (und alte vernichtet) und gewohnte Regelwerke auf den Kopf stellt, weil es sie versagen lässt.

Das Internet habe ich vor 10 Jahren mal versucht als eine Transportinfrastruktur für Datenpakete zu definieren, aber es ist mehr, es ist ein Phänomen.
Schon deshalb, weil hier eine (eventuell gar kritische) Infrastruktur komplett in privater Hand entstanden ist - ganz anders als Strassennetz, Post, oder Telefon.
Und die Stromnetze sind auch kein gutes Beispiel, denn dort war nicht die Kooperation von Konkurrenten für die Funktion erforderlich, im Gegenteil, man hat sich abgeschottet (Gleich- versus Wechselstrom, Edison gegen Tesla-/Westinghouse-Patente etc.).

Das Internet ist entstanden, weil Datentransportunternehmen vom Start weg kooperierten und gleiche Protokolle einsetzten: IP und BGP.
Das haben die (staatlichen) Telcos nicht hinbekommen.

Wie oben angerissen reisst das Grenzen nieder, schafft neue Paradigmen und diese prägen dann Anwendungen dieser offenen, kooperativ-konkurrierenden Infrastruktur.

Eine Hauptanwendung ist das Web und dort herrsche von Anfang an Wettbewerb (um Aufmerksamkeit, dann um Anzeigen) aber Kooperation: Hyperlinks sind zwar fast nur Querverweise oder Quellenangaben, die einfache Verfolgbarkeit schafft aber schon eine neue Qualität (das „surfen“, das Wegkommen vom Anfangsthema, weil man interessanten Links folgte).

Das Internet hat Paradigmenwechsel erzeugt, hat Grenzen zerbrochen.
Die Computerrevolution hat Paradigmenwechsel (im Urheberrecht) erzeugt, Grenzen zerbrochen.

Die Grenze, die der Sündenfall zerbrochen hat, ist die zwischen Werken (von mir gern „echte Werke“ genannt) und technischen Konstrukten.
In meinem Job erzeuge ich einen Output meines Geistes an zwei Fronten:

  • ich entwickle Hardware (aktuell mal wieder mixed-signal, digital, Ton und Funk in einem Gerät, Spannend!)
  • ich entwickle Software (aktuell eher embedded, C und Assembler, früher mehr grosse, verteilte Systeme, C, Perl, Java, Python, bash, PHP und so Schmuddel)

Jedes Mal, wenn ich eine Leiterplatte entwerfe, treffe ich Design-Entscheidungen. Teilweise nach ästhetischen Kriterien, teilweise nach technischen.
Jedes Mal, wenn ich ein Programm entwerfe, treffe ich genau die gleichen Entscheidungen und auch nach genau den gleichen Kriterien: „Eleganz“ der Programmierung wie auch das „erstmal muss es laufen, verbessern kann man immer noch“ spielt immer eine Rolle.

Der Unterschied: jede Zeile Code, die ich schreibe, ist urheberrechtlich geschützt (wobei die Rechte weitgehend immer abgetreten sind an den Auftraggeber oder Arbeitgeber, aber Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Urheberpersünlichkeitsrecht und Haftungsfragen lassen wir grad mal aussen vor).
Jede Leiterplatte ist es nicht.

Der Grund: der Entwurf einer Leiterplatte aus einem Stromlaufplan (umgangssprachlich auch „Schaltplan“ genannt) ist - so die einhellige Rechtsmeinung - eine Handlung die nur in der stringenten Anwendung technischer Regeln besteht und nur auf die Funktion abzielt.

Dabei sind immer Zielkonflikte zu lösen - Elektromagnetische Verträglichkeit, Wärmeentwicklung, Stromverbrauch und natürlich immer Herstellungskosten - und wie gut mir das gelingt hängt eben sehr von meinem Geschick und meinen Kenntnissen ab.

Beim Entwurf einer Software habe ich das gleiche Bündel an Zielkonflikten: Erstellungskosten, Run-Time-Kosten, Wartbarkeit, Robustheit und Stabilität.
All das sind technische Kriterien - aber die Enscheidungen, die dazu führen, sind qua definitionem keine technischen sondern rein ästhetische.
Wie die Wortwahl beim Dichten oder Verfassen eines Romans eben.
Sagt das Gesetz.


Das ist Unfug, Quatsch im Quadrat und totaler Blödsinn.

„Getretner Quark wird breit, nicht stark“ pflegte mein Lateinlehrer zu sprichworten, wenn wieder einmal jemand Unfug reiterierte.

Recht hatte er.

Der Quark, der durch den Sündenfall (die Einstufung des technischen Konstruktes „Computerprogramm“ als urheberrechtliches Werk) entstanden ist, wird getreten und getreten und wird breiter, die Fragen daher lauter.

Oracle will es jetzt wissen und will den Erschöpfungsgrundsatz des Urheberrechts aushebeln.
Den Schutz und die Vorteile für den Hersteller, den die Fehlanwendung von Urheberrecht bietet, will man natürlich nicht verlieren. Nur ungehörig, unlauter und unverschämt ausdehnen.

Meine Ingenieursmeinung zur Rechtslage: Oracle muss gewinnen.
Denn das Recht, eine Software laufen zu lassen, ist nicht an das Exemplar gebunden.
Der Weiterverkauf eines Exemplars wird also dem Ersterwerber nicht zu verbieten sein - der Erschöpfungsgrundsatz schreibt das vor.
Aber der Zweiterwerber wird das Programm nicht ablaufen lassen dürfen, denn das ist im Gesetz als Verwertungshandlung definiert, und diese darf der Urheber einschränken - genau wie das Kopieren von Büchern.


Genau genommen wünsche ich mir genau so ein Urteil, allerdings nicht für Oracle sondern eher für Blizzard.
Diese argumentiert ja auch mit dem Urheberrecht, wenn sie die eBay-Verkäufe von World-of-Warcraft-Spielfiguren attackiert. Was Quatsch ist, denn nicht die Leistung von Blizzard sondern des Spielers, der den Charakter erstellt und gelevelt hat wird „verkauft“, aber was dank der wunderbaren Lizenzbedingungen, die das Ablaufen lassen des WoW-Client beschränken von Blizzard durchaus durchsetzbar wäre. Zur Not durch Sperrung des Accounts.

Computerprogramme sind technische Konstrukte, keine Werke.

Sieht man einmal hin, was die Essenz eines Werkes ist, dann ist es die Form.
Musik ist das beste Beispiel: sie ist Form ohne jede Funktion - und daher ist die Frage „wie messen sie, dass Beethovens Pastorale korrekt funktioniert“ so offensichtlicher Blödsinn.
Die gleiche Frage angewendet auf Micropro WordStar, Borland TurboPascal oder Personal Softwares VisiCalc ist alles andere als Blödsinn.

Denn Computerprogramme sind zunächst Funktion - ohne Form.

Genau die Funktion technischer Geräte ist aber ausdrücklich nicht urheberrechtlich geschützt.
Und daher ist die Einstufung des Quellcodes als Werk der Sündenfall: das einzige, was an einem Mischwerk unter den Schutz des Urheberrechtes fällt, ist die Form, die Funktion darf immer kopiert werden.

Klassische Beispiele für Mischwerke sind Brücken oder andere Bauwerke: der Architekt verbindet Form- und Funktionsaspekte und je besser er das kann, desto besser ist er in seinem Beruf.
Neue Beispiele sind Spielprogramme, bei denen sich funktionale und Designaspekte recht gut unterschieden lassen: das Design wäre urheberrechtlich zu schützen - und dann auch in allen Einzelelementen (Charaktermodelle, Texturen, Landkarten). Auch die Spielregeln gehören ggf. in den Schutz.
Aber die funktionalen, die rein technischen Aspekte gerade nicht.

Aber das Gesetz will es genau umgekehrt.
Der Quelltext (ein rein technischen Regeln folgendes Konstrukt), die Funktion, das Ablaufen lassen sind geschützt, das User Interface ist es nicht.
Unsere angelsächsischen Freunde haben ja die Angewohnheit, Gesetze weniger in Parlamenten zu machen als durch Richtersprüche (Präzedenzfälle), die dann reiteriert werden. Auch hier gilt gelegentlich „getret‘ner Quark...“.

Das Gesetz will also genau die Aspekte, die klassisch in der Technik (von griechisch τεχνη, was allerdings Kunst, Kunsthandwerk, Kunstfertigkeit und Technik umfasst) nicht geschützt sind, bei Computerprogrammen unter Schutz stellen, das, was klassische geschützt ist, aber ausnehmen.

Klasse Idee.
Und nun will die Content-Industrie bitteschön dasselbe haben, will, dass die Verankerung des Urheberrechtes in den Grundfesten des bürgerlichen Rechtes entfernt wird.
gegen das Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht denkenden soll ein Leistungsschutzrecht zur Enteignung der Urheber und der zahlenden Kunden installiert werden.

Aktuell prallen die Fronten da aufeinander, wo die klassischen natürlichen Grenzen schon Ermüdungsbrüche zeigen, die durch die ständigen Erdstösse der Paradigmenwechsel zustande gekommen sind: beim GBI.

Klar, dass weder die Dampfmaschinenpartei (SPD), noch die Werte-sind-zum-Verschleudern-da Partei (CDU/CSU) noch die Jede-Resource-Muss-Ausgebeutet-Werden Partei brauchbare Antworten auf diese Fragen finden können.
Nur die Alles-Wird-Gut-Mit-Genügend-Binnen-I Partei tunkt vorsichtig einen Zeh in das kalte Wasser, macht aber - zum Glück für uns Piraten - im Moment noch die Landratte und springt nicht rein in die Revolution.

Europa braucht die Piratenpartei.

So wie wir den Beruf des Köhlers, der ganze Wälder in seinen Meilern zu Holzkohle verschwelt hat, eliminiert haben und er nur noch als Name für Ex-Bundespräsidenten in der Öffentlichkeit auftaucht, werden wir den Beruf des Verlegers zumindest im Berufsbild sehr stark verändern müssen.
Und wir werden das Urheberrecht für die verschiedenen Werksformen - Filme und Bücher sind nun mal unterschiedlich - passend machen müssen, werden differenzieren müssen.

An dem Punkt jetzt wird klar: wir brauchen eine Piratenpartei, die das kann.
Die das will.
Die nicht nur fröhliche Nabelschau oder BuVor-Bashing betrieben sondern differenzierte Konzepte für die Zukunft machen will.

Es ist entsetzlich mühsam und zeitaufwendig, solche Positionen in einer Partei insgesamt zu erarbeiten.
Man kann sich das leicht machen: Delegierte oder besser gleich einfach der Vorstand oder nur der/die Vorsitzende macht die politischen Ansagen.
Einen solchen Fall haben wir grad in der Piratenpartei und ich könnte rückwärtsessen wegen der Tatsache, dass das Timing nicht dämlicher sein könnte: die Diskussion darüber, wie wir zu politischen Aussagen wie „für ein BGE/gegen ein BGE“ bzw. eben - wie oben dargestellt - zu differenzierten Aussagen wie „für ein getrenntes, differenziertes Schutzrecht für verschiedene Konstruktes des menschlichen Geistes (plus notwendige Details: welche Rechte für wen, wann und warum...)“ kommen, kommt im Moment zur Unzeit.

An sich wünsche auch ich einen Vorstand mit Tatkraft, Kompetenz und Arsch in der Hose, aber ich will eben auch eine Partei, die nicht nur einem Vorstand hinterherdackelt.
Und das schliesst einen stark politischen Vorstand eigentlich aus, wie Michael so gut darstellt.

Grummel.
Wenigstens ist der nächste Programmparteitag schon in Sichtweite.
Das ist der Platz für programmatische Arbeit, Anträge und Beschlüsse.


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Politik