Wenn Helden sterben

Merkt man, wie alt man geworden ist. Seit ein paar Jahren war es abzusehen, seit gestern ist es traurige Gewissheit: Sir Terry Pratchett ist tot. Die Begeisterung für seine Werke teile ich mit Millionen anderer Fans, und nun vereint uns die Trauer.

Es fällt mir schwer, unter all seinen Figuren einen Favoriten auszumachen, aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann fiele die Wahl wohl auf Sir Samuel Vimes, Kommandanten der Stadtwache und Held von - imho - Sir Terrys grossartigstem Roman „Snuff“.

Seiner Figur verdanken wir so profunde Erkenntnisse wie die, wie es die reichen Leute schaffen, reicht zu bleiben (in „Men At Arms“ macht Vimes es an Schuhsolen und Stiefeln fest), währen die armen Schlucker nie auf einen grünen Zweig kommen.

An sich startet der Kommandant als ziemlich fieser Typ: seine offene Abneigung gegen Zwerge, Untote und vieles andere Volk, das in Ankh-Morpork zusammenlebt, machte mir den Typen zunächst unsympathisch. (Ich warte ja eigentlich jeden Tag darauf, dass aus den Kreisen, die Rousseau und Kant aus Lehrplänen zu tilgen suchen, die Forderungen kommen, auch Pratchett wegen Vimes‘ offenem Spezieismus zu bannen)

Später aber macht er genau die Erfahrung, die auch mein Leben immer wieder bereichert hat: die interessantesten und oft wertvollsten Typen sind die Oddballs, die Freaks und die Querköpfe wie Cheery Littlebottom, die ihre zwergengesellschaftlich zugewiesene Rolle hinterfragt, sich dabei treu bleibt und durchsetzt.

Und so macht Vimes dann aus einem Haufen von Misfits grad durch die Kombination der individuellen Stärken eine unschlagbare Truppe, die ohne die speziellen Talente der Sergeants wie Detritus, Angua oder Littlebottom weit weniger Dynamik hätte.

Und dieser fantastische Held hat seinen krönenden Auftritt dann in jener bitter-finsteren Dystopie, mit der Sir Terry uns vor Augen führt, wohin unsere Gesellschaft sich zu entwickeln droht.

Vermutlich könnte niemand anders so eine tiefschwarze Gesellschaftsvision auf eine Weise kredenzen, dass man in der Berliner S-Bahn wortlos ein Taschentuch gereicht bekommt, um die Lachtränen von dem Pad wischen zu können, auf dem man gerade liest.

Sir Terry, ich danke ihnen von Herzen dafür, wie gewaltig sie mein Leben bereichert haben.


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Persönliches