Wieder eine weniger

Es ist echt zum Heulen. Irgendwie.

In der Überschrift hätte ich jetzt beinahe einen uralten Kinderreim zitiert. Und was hätte ich Dresche dafür bekommen, was wäre mir wieder alles unterstellt worden. Denn wer bestimmte Worte verwendet - und sei es eben als Zitat - der frisst auch kleine Kinder. Weiss man ja!

Diese Unentspanntheit ist leider der Sachstand in der Piratenpartei. Da liegen Nerven offenbar allerorten blank und eigentlich weiss man gar nicht so genau, warum.

Heute jedenfalls erreicht mich die Nachricht von einem weiteren Parteiaustritt. Grund ist wieder mal derselbe: Frust über ...

... immer wenn ich darüber nachdenke, wie ich dieses Gefühlsgemenge beschreiben soll, stelle ich fest, wie knifflig das ist. Denn am Ende beschreibe ich ja doch immer nur meine eigene Reflexion dessen, was ich da (über den Sprachkanal wie auch Stimmlage, Körperhaltung etc.) mitgeteilt bekomme.

Frust über...

... die Tatsache, dass die Piraten bei der untersten Form der Altpolitik angekommen sind. Es geht anscheinend nur noch darum, wer wen dominiert, wer wen wie niedermachen darf - ja muss! - und ...

... und im Herannahen der Bundestagswahl geht offenbar vielen nochmal zusätzlich die Muffe. Vorschläge, einfach nicht anzutreten, werden gemacht (und sind DUMMFUG! näheres unten), vor jedem „die Piraten mal wieder“ Artikel auf Spiegel Online wird gezittert wie vor dem Y2K-Bug.

Ich habe die letzten Tage immer wieder Werbung gesehen für ein neues Buch. Titel „Die gehetzte Politik“ oder so ähnlich. Das trifft es, trifft die Stimmung, die ich so erlebe. Und die mich dann immer wieder daran erinnert, dass ich auch schon mal kurz vor dem Aufgeben stand, dass ich einfach hinwerfen wollte. Irgendwie lockt dieser Gedanke immer wieder; einfach raus aus der Rat Race, einfach nicht mehr mitmachen.

Aber ich habe beschlossen, genau das zu tun - aber innerhalb der Piratenpartei. Wie genau das geht, weiss ich noch nicht, aber ich habe durchaus das Gefühl, dass ich da gar nicht so alleine bin.

Häh? Raus aus der Rat Race aber innerhalb der Politik?

Ja! Genau! Denn eines der Kernprobleme der Politik - ich weiss nicht genau, seit wann. Die 89er Revolution? Nee - das Problem bestand bei uns im Westen schon vorher, denke ich. Ist aber auch egal, seit wann genau.

Die Politik ist gehetzt. Sie reagiert nur noch. Auf Märkte und Lobbyisten und „gesellschaftliche Gruppen“ (aka Kirchen, Gewerkschaften, Verbände) und überhaupt: auf die aktuell durch das globale Dorf getriebene Sau.

Die Presse -- knifflig, deren Rolle in dem Sch*spiel festzustellen. Denn an sich machen die Damen und Herren nur ihren Job: auf Missstände in der Politik hinweisen. Ist irgendwie ein doofer Job und wäre nicht wirklich was für mich: ständig musst Du nur danach suchen, wo es stinkt. Kommt mir irgendwie wie „ständig die Nase im Dreck und die Hände schmutzig“ vor. Nichts gegen schmutzige Hände durch ehrliche Arbeit: die kann man waschen; ich habe das sowohl nach Tagen an der Drehbank (in meiner Werkstatt) wie auch nach Tagen der Arbeit mit dem Güllefass (auf Papas Milchhof) persönlich schon erprobt.

Also, die machen ihren Job und das ist auch in Ordnung. Und treiben damit die Politik vor sich her: der klassische 1.0-Politiker passt sich dem so an, dass möglichst nichts schlechtes über ihn in der Zeitung steht.

An sich kann das ganz gut sein: als Politiker weisst du, dass alles, was du verbockst, irgendwann rauskommt, also passt du auf, dass du nicht allzu grossen Mist machst.

Funktioniert gut. In der Theorie.

Und dann die Twitterifizierung der Öffentlichen Kommunikation dazurühren, und schon wird Pampe draus. Ich halte Twitter ja nicht mehr für Kommunikation sondern nur eine Illusion davon. Die willkürliche Begrenzung auf Gedanken, die in 140 Zeichen passen, verkürzt den geistigen Horizont noch mehr, als der klassische zellulosebasierte Horizontbegrenzer aus der Kochstrasse (ach nee: die sind ja „umgezogen“ als die in Rudi-Dutschke-Strasse umbenannt wurde :-)

Hauptsache, nicht anecken. Das gelingt natürlich am Besten, wenn man im Grunde für nichts steht. Und wenn dann das Mittel zum Selbstzweck wird.

Mal sehen, wieviele Piraten auf mich hören werden, wenn ich ihnen gesagt haben werde, dass - BT-Mandate wichtig sind, - die BT-Wahl völlig sekundär ist für die Arbeit der kommenden Monate, - die Presse zu ignorieren ist.

Schon wieder: häh? Presse ist wichtig und darf überall zusehen und man darf auch mit denen reden wie mit normalen Menschen. Sind ja auch welche.

Man darf halt nur nicht erwarten, dass sie irgendetwas positives berichten: dafür nehmen sie den Job, immer nach den Missständen zu suchen, viel zu ernst.

Die BT-Mandate, die wir erringen könnten, sind wichtig. Denn sie geben ein Mittel in die Hand, Politik umzusetzen. die aktuell vorhandenen Fraktionen zeigen das schon. Läuft.

Aber die anstehende BT-Wahl ist völlig sekundär. Fast schon egal.

Denn das Ziel sind nicht Mandate, das Ziel ist...

... und das ist der Knackpunkt. Was das genaue Ziel ist, haben wir bisher nicht wirklich festgelegt. Irgendwie gehen alle davon aus, spüren da was, machen halt mit, aber die - klare - erkennbare - positive/konstruktive - Vision einer zukünftig besseren Gesellschaft wird nur schwer erkennbar. Insofern trifft der Vorwurf „kein Programm“ zwar nicht das Bulls-Eye, liegt aber auch nicht komplett daneben.

Diese Vision herzustellen sehe ich als primäre Aufgabe für die nächste Zeit. Das Timing ist doof, die Wahl irgendwie zu nah.

Aber das ist kein Grund zur Flucht in die Politik-1.0, die die Aussendarstellungsoptimierer grad betreiben. „Hauptsache sieht gut aus, egal wie‘s unter der Oberfläche stinkt“ ist KACK. Sorry, Bernd, aber das, was Du in den letzten Wochen so propagiert hast, wirkt auf mich ein wenig wie Aussendarstellungsoptimierung. Ich kann ja nachvollziehen, dass die Zeit bis zur BTW nicht lang genug ist, ein neues Grundsatzprogramm mit 30k Leuten auszuarbeiten. Aber nur über den Riss drübertapezieren macht das Haus nicht wieder standsicher.

Das Fundament ist durch die Erdbeben und die Flutwelle von 2011 verrutscht. Die Berlin-Wahl war ein Erdbeben, die Neueintritte eine Flutwelle. Die Folgen davon zu fixen, haben wir über die Tagespolitik irgendwie vergessen.

Wir haben uns zu sehr auf das Treiben der tagesaktuellen Sau eingelassen. Wir haben zu sehr das Nichtanecken zu üben versucht.

Und daher müssen wir zur BTW antreten, auch wenn uns die Auguren keine klitzekleine Chance aus ihren Tiereingeweiden oder Kristallkugeln herauslesen. Denn wir müssen die Tatsache, das man dieserTage auf der Strasse Menschen auf Politik ansprechen darf, ohne schief angesehen zu werden, nutzen um genau das zu entwickeln, was wir brauchen.

Die Vision. Von der besseren Gesellschaft.

Unabdingbar dabei: der Primat der Politik. Das Volk hat das Sagen - weder Märkte noch Presse noch Twitter. Also: so muss es halt wieder werden.

Heute wieder einen Verlust verbuchen müssen.

Verständlich. Nachvollziehbar. Aber doof.

Hoffentlich werden das nicht zu viele.


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Politik